Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 14.08.2014 - 2 BvR 969/14 -) hat kürzlich über die Verfassungsbeschwerde des ehemaligen Bundestagsabgeordneten E., gegen den Ermittlungen wegen des Vorwurfs des Besitzes und der Besitzverschaffung von kinderpornographischen Schriften geführt und mittlerweile auch Anklage erhoben wurde, entschieden, die dieser gegen die von der Staatsanwaltschaft Hannover beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Hannover erwirkten Durchsuchungsbeschlüsse für seine Wohnräume, Bürger- und anderen Büros sowie seines Abgeordnetenbüros beim Deutschen Bundestag, seiner E-Mail-Postfächer und der beim Deutschen Bundestag gespeicherten Verkehrsdaten erhoben hatte.

Dabei hat das Bundesverfassungsgericht neben der Frage nach dem Vorliegen eines Anfangsverdachts, die in der Presse und auch der (juristischen) Onlinewelt insbesondere diskutiert wurde, und seinen Ausführungen zum genauen Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Deutschen Bundestag nach Mandatsverzicht, auch bislang offenbar in den einschlägigen juristischen Blogs[1] weniger beachtete andere Rechtsfragen behandelt, die diese Entscheidung insgesamt für die strafrechtliche Praxis interessant machen.

Chronologie

Doch zunächst zur Chronologie der Ereignisse, die insgesamt wohl als bekannt vorausgesetzt werden darf. Um sie trotzdem nochmals kurz zusammenzufassen[2]:

Bereits 2011 erhielt das Bundeskriminalamt (BKA) Kenntnis von der seit 2010 laufenden “Operation Spade” kanadischer Behörden gegen einen Anbieter kinderpornographischen Materials, dessen Abnehmer in rund 800 Fällen aus Deutschland stammen sollen. Nachdem zunächst Fälle mit eindeutig kinderpornographischen Abbildungen bearbeitet wurden, wurden im Oktober 2013 die verbleibenden Fällen an die örtlich zuständigen Landeskriminalämter abverteilt; dazu gehörte auch der Fall des damaligen Bundestagsabgeordneten E. Die Landeskriminalämter wiederum setzten die örtlichen Dienststellen in Kenntnis; spätestens hier wurde der Polizei die Brisanz des Falles E. bewusst, mit der Folge, dass über innerpolizeiliche Meldewege der Sachverhalt an das BKA zurückgemeldet wurde, wo die Leitungsebene mit dem Fall befasst wurde, die wiederum die politische Ebene in Kenntnis setzte. Der Bundesinnenminister informierte sodann die Verantwortlichen der SPD - Wochen bevor die zuständige Staatsanwaltschaft Hannover überhaupt die Akten erhielt.[3] Die Staatsanwaltschaft beginnt dann im November 2013 zu prüfen, ob die vorliegenden Verdachtsgründe für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausreichend sind, kurz bevor die kanadischen Ermittler eine Pressekonferenz abhalten, bei der auch bekannt wird, dass Deutsche zu den Kunden des kanadischen Anbieters zählten. Noch im November wendet sich der Rechtsanwalt des Abgeordneten E. vertraulich an die Staatsanwaltschaften in Hannover und Berlin, zuständig für Wohnsitz und Arbeitsplatz, sowie an das LKA Niedersachsen und bittet um Auskunft, ob Ermittlungen gegen seinen Mandanten laufen.[4] In der Folge erklärt der Rechtsanwalt nochmals konkret, dass E. befürchte, von Ermittlungen in einem konkreten Verfahren betroffen zu sein; er besitze aber keine Kinderpornographie und verfüge auch über keine Fotos mehr.

Ende Januar entschließt sich die Staatsanwaltschaft Hannover zur Aufnahme von Ermittlungen. Am 06.02.2014 setzt sie den Präsidenten des Deutschen Bundestags davon in Kenntnis; dazu ist sie nach der regelmäßig in jeder Legislaturperiode neu durch den Bundestag allgemein erteilten Genehmigung für Ermittlungen gegen Abgeordnete verpflichtet. Ohne diese vereinfachende Regelung dürften aufgrund der parlamentarischen Immunität der Abgeordneten gegen diese noch nicht einmal Ermittlungen eingeleitet werden. Am selben Tage verzichtet E. durch notarielle Erklärung auf sein Bundestagsmandat[5]; er gibt dafür gesundheitliche Gründe an. Die Erklärung geht am Folgetag dem Bundestragspräsidenten zu, der am 10.02.2014 E. mitteilt, dass dieser mit Ablauf des 06.02.2014 aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden sei, was E. auch öffentlich machte. Am 10.02.2014 erlässt der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Hannover einen Durchsuchungsbeschluss für zwei Wohnungen und zwei Bürgerbüros des nunmehr Beschuldigten E. wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornografischer Schriften. Aufgrund der kostenpflichtigen Bestellung von insgesamt 31 Film- und Fotosets mit Nacktaufnahmen von Minderjährigen für den Beitrag von insgesamt mehr als 1.000 $ im Zeitraum von 2005 bis 2010, die zwar keine sexuellen Handlungen, wohl aber unbekleidete Kinder und Jugendliche einschließlich gezielter Darstellungen ihres Genitalbereiches zeigten, liege eine pädophile Neigung des Beschuldigten nahe. Aufgrund kriminalistischer Erfahrung aus einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle sei daher davon auszugehen, dass der Beschuldigte auch strafrechtlich relevantes Material besitze. Zudem bedürfe es noch einer abschließenden Bewertung, ob nicht schon bereits einzelne Bilder des dem Beschuldigten zugeordneten Materials dem Begriff der Kinderpornografie unterfielen.[6] Am Folgetage erweiterte der Ermittlungsrichter in einem Beschluss die Durchsuchungsmaßnahmen auf einen weiteren Büroraum und ergänzte, dass die Maßnahmen auch durch die Kenntnis des Beschuldigten von den Ermittlungen nicht aussichtslos seien, weil es regelmäßig nur sehr selten gelänge, gespeicherte Daten so zu löschen, dass diese nicht mehr wiederhergestellt werden könnten. Am 17. und 21.02.2014 folgten drei weitere Beschlüsse, mit denen die Durchsuchung der Abgeordnetenbüros des Beschuldigten und die Beschlagnahme seiner E-Mail-Postfächer beim Deutschen Bundestag, der unter seiner Bundestagskennung gespeicherten Daten und die Beschlagnahme zweier privater E-Mail-Postfächer angeordnet wurden, weil zu vermuten stehe, dass sich dort E-Mails und weitere Daten auffinden ließen, die dem Tatnachweis dienten und für diesen erforderlich seien.[7]

Nach Vollzug der Beschlüsse legte E. gegen diese Beschwerde ein und bestritt das Vorliegen eines Anfangsverdachts. Zudem seien die Durchsuchungen unzulässig, weil er die freiwillige Herausgabe aller durch die Ermittlungsbehörden für erforderlich gehaltenen Beweismittel angeboten habe. Außerdem seien die Beschlüsse inhaltlich nicht ausreichend begrenzt und verstießen daher gegen das Übermaßverbot; sie hätten überdies aufgrund der per E-Mail geführten Kommunikation mit dem Verteidiger auch Verteidigerpost erfasst. Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab; das Landgericht verwarf die Beschwerde in der Folge, ohne E. zuvor, wie erbeten, die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zugeleitet zu haben. Dagegen erhob E. Anhörungsrüge, weil er die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft erst nachträglich von dieser erhalten habe und sich daher dazu nicht habe äußern können; diese Rüge wies das Landgericht zurück, weil keine entscheidungsergebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs vorgelegen habe.Dagegen schließlich wurde Gegenvorstellung erhoben, in der E. erstmals ausführte, er sei zum Zeitpunkt des ersten Durchsuchungsbeschlusses noch Mitglied des Deutschen Bundestages gewesen; außerdem sei auf beim Deutschen Bundestag gespeicherte Telekommunikationsverkehrsdaten zugegriffen worden, ohne dass dafür eine Rechtsgrundlage bestehe. Das Landgericht lehnte eine Abänderung seines Beschlusses ab. Daraufhin erhob E. Verfassungsbeschwerde.[8]

Parlamentarische Immunität

Der erste Punkt, mit dem sich das Verfassungsgericht beschäftigt, ist die Rüge der Verletzung der Immunität des Beschuldigten E., der bei Erlass der zeitlich ersten Durchsuchungsanordnung durch den Ermittlungsrichter noch Abgeordneter des Deutschen Bundestages gewesen sei. Diese Rüge wäre nach den Entscheidungsgründen zwar begründet, sei aber wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der materiellen Subsidiarität unzulässig. Dieser Grundsatz besagt, dass der Beschwerdeführer vor einer Befassung des BVerfG mit der Sache alle ihm möglichen und zumutbaren Schritte ergriffen haben muss, um im fachgerichtlichen Verfahren die Verletzung seiner Grundrechte beseitigen zu lassen.

Sowohl die Begründetheit als auch die Unzulässigkeit der Rüge finden ihre Ursache darin, dass alle Beteiligten - der Präsident des Deutschen Bundestages, die Staatsanwaltschaft und die ordentlichen Gerichte, aber auch der Beschuldigte und sein Verteidiger selbst - von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind, was den Zeitpunkt des Ausscheidens von E. aus dem Deutschen Bundestag betrifft. Das Verfahren für den Mandatsverzicht und der Zeitpunkt von dessen Wirksamkeit sind in §§ 46, 47 Bundeswahlgesetz (BWahlG) geregelt. Eine der Möglichkeiten, aus dem Deutschen Bundestag durch Verlust der Mitgliedschaft auszuscheiden, ist gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 4 BWahlG der in qualifizierter Form, nämlich zur Niederschrift u.a. bei einem Notar erklärte Mandatsverzicht, der dem Bundestagspräsidenten durch den Abgeordneten übermittelt werden muss. Der Bundestagspräsident hat dann unverzüglich die Verzichtserklärung zu bestätigen (§ 47 Abs. 1 Nr. 4 BWahlG); mit der Wirksamkeit dieser Bestätigung - dann, aber auch erst dann - scheidet der Abgeordnete aus dem Bundestag aus (§ 47 Abs. 3 S. 1 BWahlG). Dies war vorliegend erst am 10.02.2014 der Fall, an demselben Tage also, an dem auch schon der erste Durchsuchungsbeschluss erlassen wurde, der mithin die parlamentarische Immunität (Art. 46 Abs. 2 GG) des Abgeordneten E. verletzt hat.

Das BVerfG betont, dass im Hinblick auf die Möglichkeit knapper Mehrheiten bei Abstimmungen zu jedem Zeitpunkt klar feststehen muss, wer Mitglied des Deutschen Bundestages ist und wer nicht (mehr). Deshalb komme eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung über den Wirksamkeitszeitpunkt des Mandatsverzichts, insbesondere eine rückwirkende Feststellung des Ausscheidens aus dem Deutschen Bundestag, nicht in Betracht. Ein Recht des Bundespräsidenten zur Festsetzung oder Feststellung eines anderen Zeitpunktes für das Ausscheiden aus dem Bundestag, das das Landgericht Hannover angenommen hatte, bestehe insoweit nicht. Dies hätten “angesichts des unmissverständlichen Wortlauts der maßgeblichen Vorschriften”[9] die Gerichte erkennen müssen. Dieses Versehen mag allerdings insofern verzeihlicher erscheinen, als auch der Präsident des Deutschen Bundestages selbst (!) von einem entsprechenden Recht oder zumindest einem abweichenden Termin ausging, da er am 10.02.2014 dem Beschuldigten sein Ausscheiden rückwirkend zum 06.02.2014 - dem Tag der notariellen Protokollierung der Verzichtserklärung - bestätigt hatte und dieser das so öffentlich und durch seinen Verteidiger auch selbst dargestellt hat. Offensichtlich haben bei dieser Sachlage weder Staatsanwaltschaft noch Gerichte intensiver geprüft, ob der Bundestagspräsident das Wahlgesetz auch richtig auszulegen versteht … und sind insofern folgerichtig davon ausgegangen, dass eine Aufhebung der Immunität nicht mehr erforderlich war.[10] Erst die Bundestagsverwaltung hat den Beschuldigten schließlich am 08.05.2014 (also rund ein Vierteljahr später) von dem richtigen - gesetzlich vorgeschriebenen - Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Deutschen Bundestag informiert.[11]

Auch die Verteidigung hat den “unmissverständlichen Wortlaut” des Bundeswahlgesetzes wohl ebenso wie alle anderen Beteiligten nicht richtig verstanden, nicht gekannt oder nicht ausreichend geprüft, sondern sich gleichfalls auf den Bundestag und seinen Präsidenten verlassen, denn weder in der Beschwerde noch in der nachfolgenden Gegendarstellung wurden entsprechende Rügen erhoben. Dies wird dem Beschuldigten dann zum Verhängnis - denn auch er hätte, so das Verfassungsgericht, den Fehler des Bundestags, der Staatsanwaltschaft und der Gerichte erkennen können, erkennen müssen und dann auch zu rügen gehabt. Weil er aber im fachgerichtlichen Verfahren weder eine Verletzung seiner parlamentarischen Immunität gerügt noch die notwendigen Tatsachen vorgetragen habe, habe er nicht alle ihm möglichen Schritte zur Beseitigung der Grundrechtsverletzung unternommen, so dass seine Verfassungsbeschwerde insoweit nach dem Subsidiaritätsgrundsatz unzulässig sei.

Vorliegen eines Anfangsverdachts

Intensiv diskutiert wurde in Fachkreisen wie in der Tagespresse die Frage der Rechtmäßigkeit der durch das Amtsgericht angeordneten Durchsuchungsmaßnahmen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines möglicherweise fehlenden Anfangsverdachts. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, insbesondere aber Eingriffsmaßnahmen wie die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen, setzen nämlich eine entsprechende Verdachtslage voraus. Nach einer gängigen Formel müssen Tatsachen es nach kriminalistischer Erfahrung als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt.[12] Bloße Vermutungen genügen zwar nicht; andererseits sind aber entfernte Indizien wiederum ausreichend.[13] Der Staatsanwaltschaft - und den Gerichten - wurde vorgeworfen, dass es an entsprechenden Tatsachen gerade fehle.[14] Die bei Erlass der Durchsuchungsbeschlüsse bekannten, dem Beschuldigten zugeordneten 31 Bestellungen betrafen nämlich ausschließlich solche Bilder und Videos, die das BKA als nicht kinderpornographisch beurteilt hatte. Die Bestellung solcher Bilder unterliege vielleicht je nach Auffassung einem moralischen Unwerturteil, sei aber nicht strafbar; aus legalem Handeln dürfe jedoch niemals, auch nicht unter Hinzunahme kriminalistischer Erfahrungssätze, der Anfangsverdacht einer Straftat konstruiert werden.[15]

Dieser mancherorts[16] bereits zur “zumindest unter Juristen mittlerweile ganz herrschende[n] Ansicht” beförderten Auffassung ist das Verfassungsgericht entgegen getreten, zunächst unter Verweis darauf, dass in der verfassungsgerichtlichen Judikatur durchaus anerkannt ist, dass auch ein an sich legales Verhalten bei Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte geeignet sein kann, den Anfangsverdacht einer Straftat zu begründen.[17] Es hat sich dann auf die Einschätzung des Landgerichts Hannover gestützt, dass die betreffenden Bilder und Videos keineswegs fraglos legal gewesen, sondern vielmehr zumindest in einem Grenzbereich einzuordnen seien, bei dem die Beurteilung als schon strafbar oder noch straflos “allein von schwierigen tatsächlichen Wertungen - Alter der Kinder, Einschätzung der dargestellten Handlungsabläufe und Posen als noch natürliche oder als für Kinder schon unnatürliche -”[18] abhänge, wenn es sich nicht - abweichend von der Beurteilung des BKA, an dessen Beurteilung dieser letztlich juristischen Frage das Landgericht nicht gebunden ist - zumindest in Einzelfällen sogar bereits um kinderpornographische Abbildungen handele. Davon ausgehend hält das BVerfG dann ausdrücklich fest:

Ohne die Reichweite des durch Art. 13 GG gewährleisteten Schutzes zu verkennen, ist das Gericht zudem von dem kriminalistischen Erfahrungssatz ausgegangen, dass die Grenze zur strafbaren Kinderpornografie bei dem Bezug solcher als strafrechtlich relevant einschätzbarer Medien über das Internet - jedenfalls bei Anbietern, die auch eindeutig strafbares Material liefern - nicht zielsicher eingehalten werden kann und regelmäßig auch überschritten wird.

Unter der - ohne Kenntnis des Materials und einschlägige Erfahrung nicht abschließend beurteilbaren, aber jedenfalls sehr naheliegenden - Prämisse, dass jedenfalls manche der verfahrensgegenständlichen Bilder und Videos zumindest jene Grauzone erreichen, in der es auf (zudem rechtlich unterschiedlich bewertbare) diffizile Einzelfragen ankommt, ob es sich gerade noch “nur” um ein kindliches Nacktbild oder schon um Kinderpornographie handelt, halte ich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für richtig - auch ohne Berücksichtigung dessen, dass nach der Presseberichterstattung die Ermittlungen - der zitierten kriminalistischen Erfahrung entsprechend - mittlerweile tatsächlich Belege für die Verschaffung fraglos kinderpornographischer Abbildungen zutage gefördert haben. Denn so richtig es ist, dass ein legales, wenn auch moralisch zweifelhaftes Handeln allein keinen Anlass zur Einleitung von Ermittlungen geben darf, so richtig ist es auch, dass das Sichverschaffen von möglicherweise kinderpornographischen, vielleicht aber auch gerade noch eben nicht kinderpornographischen Schriften[19] eben nicht alleine oder fraglos legal ist. Es entspricht nicht nur der oft zitierten kriminalistischen Erfahrung, sondern auch der laienhaften Lebenserfahrung, dass ein Mensch mit einer Vorliebe für solche Bildwerke sich entweder daneben härteren “Stoff” anderswo beschafft oder bestenfalls die berühmte “rote Linie” auch einmal überschreitet, wenn er nur genug Material sammelt; mag dies vielleicht im Einzelfall auch nicht seine Absicht gewesen sein, so nimmt er es doch, so darf man zumindest annehmen, billigend in Kauf.

Dabei darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass der Anfangsverdacht immer schon eine sehr niedrige Schwelle gewesen ist und auch sein muss, ist er doch die Voraussetzung dafür, weitere Ermittlungen erst durchzuführen, die den Verdacht dann erhärten oder auch entkräften können. Für einen Anfangsverdacht genügen daher schon Verdachtsgründe, die nur allgemeine Ermittlungen zulassen, für tiefer in Grundrechte eingreifende strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen wie eine Durchsuchung aber noch nicht ausreichend wären.[20] Die eigentliche Frage war aus meiner Sicht daher immer schon nicht die Frage nach dem Anfangsverdacht, sondern die Frage, ob dieser Verdacht ausreichend war, um auch Durchsuchungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Das ist nicht automatisch der Fall; vielmehr sind im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit, die aufgrund der geringen formalen Anforderungen - insoweit genügt ein Anfangsverdacht - angesichts des in der Maßnahme liegenden Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 13 GG hier besondere Bedeutung hat, die Stärke des Verdachts, die Schwere der vermuteten Tat und die Wahrscheinlichkeit des Auffindens von Beweismitteln mit den entgegenstehenden Grundrechten des Beschuldigten und möglicher Dritter abzuwägen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Grundsätze insbesondere im Zusammenhang mit Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten und Rechtsanwalten, die zugleich das geschützte Vertrauensverhältnis zwischen diesen Personen und ihren Patienten oder Mandanten betreffen, regelmäßig betont.[21] Im vorliegenden Fall ergaben sich aber auch insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken, so dass das BVerfG keine weiteren Ausführungen zu dieser Frage für erforderlich hielt.

Umfang und Vollzug der Durchsuchungsmaßnahmen

Über die Fragen nach dem Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Deutschen Bundestag und dem Vorliegen des notwendigen Anfangsverdachts hinaus enthält die verfassungsgerichtliche Entscheidung noch einige weitere, wenn auch letztlich wenig überraschende bzw. die bestehende Rechtsprechung bestätigende Ausführungen, insbesondere zur Frage der durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen, die - soweit ersichtlich - bislang noch nicht breiter diskutiert wurden.

Keine Aussichtslosigkeit aufgrund Kenntnis der Ermittlungen, keine freiwillige Herausgabe

So hält das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Annahme des Ermittlungsrichters - und des Landgerichts -, auch lange nach den bekannten Bestellungen würden sich weiterhin entsprechende Aufnahmen auffinden lassen, ebenso wenig zu beanstanden sei wie die Annahme, dass sich erfahrungsgemäß entsprechende Dateien selten “rückstandsfrei” löschen ließen, so dass auch die Kenntnis des Beschuldigten von den gegen ihn geführten Ermittlungsmaßnahmen die Durchsuchungsmaßnahmen nicht von vornherein als aussichtslos dastehen lasse. Ebenso müssten die Ermittlungsbehörden sich nicht auf das angebotene Entgegenkommen hinsichtlich der freiwilligen Herausgabe der Beweismittel einlassen.[22] Letzteres ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn eine solche Abwendungsbefugnis kommt immer nur dann in Betracht, wenn bestimmte, von Art und Umfang her bereits bekannte Gegenstände gesucht werden - nur in diesem Fall lässt sich nämlich feststellen, ob auch tatsächlich alle vorhandenen Beweismittel ausgehändigt werden. Hätten die Durchsuchungsmaßnahmen (nur) dem Auffinden der bis 2010 bestellten Abbildungen gedient, hätten die Ermittlungsbehörden ein solches Anerbieten möglicherweise akzeptieren müssen; allerdings war dies gerade nicht der Fall, denn gesucht wurde ja insbesondere nach weiterem und unzweifelhaft kinderpornographischem Material sowie Hinweisen auf dessen Beschaffung. In diesem Fall kann die freiwillige Herausgabe von Beweismitteln - die insoweit auch nicht angeboten war - offensichtlich nicht in Betracht kommen, weil die Ermittlungsbehörden in diesem Fall niemals prüfen könnten, ob ihnen auch alles oder nur “die Spitze des Eisbergs” ausgehändigt worden ist. Zudem besteht zumindest beim Beschuldigten auch immer die naheliegende Gefahr, dass er spätestens die Aufforderung zur Herausgabe solcher Beweismittel zu deren Vernichtung nutzen würde.

Beschlagnahme von E-Mails im Postfach beim Provider

Überdies hat das Verfassungsgericht auch die praktische Umsetzung der von ihm selbst eröffneten Möglichkeit[23] der Beschlagnahme von im Postfach beim Provider noch gespeicherten E-Mails nach den allgemeinen Beschlagnahmevorschriften der §§ 94, 98 StPO bestätigt. Insbesondere hat es die durch die Ermittlungsbehörden gewählte zweistufige Form der Durchführung - Sicherstellung aller vorhandenen E-Mails mit nachfolgender Durchsicht und darauffolgender Löschung der nicht verfahrensrelevanten Inhalte - nicht beanstandet, auch soweit dabei Verteidigerkorrespondenz gesichtet worden ist.[24] Eine solche Durchsicht sei unvermeidbar, weil ansonsten auf einfache Weise durch die bloße Behauptung des Vorhandenseins von Verteidigerkorespondenz oder auch Speicherung einer einzelnen E-Mails des Verteidigers Postfächer vollständig dem Zugriff der Ermittlungsbehörden entzogen werden könnten. Es wird allerdings davon auszugehen sein, dass es bei der Ausscheidung von Verteidigerkorrespondenz besonderer Sorgfalt bedarf; so wird eine Sichtung sich in der Regel auf die angegebene Absender- bzw. (bei ausgehender Korrespondenz) Empfängeradresse beschränken müssen, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Angaben gezielt verfälscht wurden, um E-Mail-Verkehr den Ermittlungsbehörden vorzuenthalten.

Beschlagnahme von Verkehrsdaten

Abschließend hatte der Beschuldigte noch gerügt, dass die Ermittlungsbehörden beim Deutschen Bundestag - angeblich ohne Rechtsgrundlage - gespeicherte Verkehrsdaten über seinen Internetverkehr beschlagnahmt hatten. Er soll sich dabei auf die Begründung gestützt haben, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil über die Vorratsdatenspeicherung[25] die notwendige Rechtsgrundlage zur Erhebung von Verkehrsdaten - § 100g Abs. 1 S. 1 StPO - als verfassungswidrig aufgehoben habe.[26] Diese Argumentation - so sie denn richtig wiedergegeben wurde - wäre allerdings unsinnig, denn das Bundesverfassungsgericht hat nichts dergleichen getan; es hat vielmehr nur die Vorschriften zur verpflichtenden Speicherung der Verkehrsdaten aufgehoben und die Vorschrift des § 100g Abs. 1 S. 1 StPO nur insoweit, als diese den Zugriff auf solchermaßen verpflichtend gespeicherte Daten gestattet. Die Erhebung sonst - durch die Provider freiwillig ohne gesetzliche Verpflichtung nach dem damaligen § 113a TKG - gespeicherter Verkehrsdaten ist selbstverständlich weiterhin zulässig. Von Bedeutung ist aber auch, dass das Verfassungsgericht insoweit keine weiteren Ausführungen zu der Frage macht, ob die beschlagnahmten Verkehrsdaten durch den Deutschen Bundestag überhaupt hätten gespeichert werden dürfen.[27] Dem lässt sich nur entnehmen, dass es entgegen der Ansicht des Beschuldigten nicht darauf ankommt, ob die durch die Ermittlungsbehörden beschlagnahmten Verkehrsdaten zu Recht gespeichert waren oder nicht; vielmehr dürfen alle gespeicherten Verkehrsdaten bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen beschlagnahmt werden.

Dies klärt eine in der Praxis durchaus nicht unbedeutende Rechtsfrage, die sich bei der Erhebung von Verkehrsdaten bei Telekommunikationsanbietern nach § 100g Abs. 1 StPO nicht selten stellt. Aufgrund fehlender einheitlicher Vorschriften über die notwendige Mindestspeicherungsfrist von Verkehrsdaten gehen die Provider insoweit nämlich unterschiedlich vor und speichern unterschiedliche Daten (Anrufziel, Funkzelle, verkürzte oder nicht verkürzte Rufnummern, Rufnummern auch eingehender Anrufe) für jeweils unterschiedliche Zeiträume, die sich zudem nochmals zwischen den Providern und teilweise den Anschlussarten unterscheiden, aufgrund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen (bspw. zu Abrechnungszwecken nach § 97 TKG, für Einzelverbindungsnachweise nach § 99 TKG oder zur Störungseingrenzung und Missbrauchsbekämpfung nach § 100 TKG). Nicht immer erschließt sich ohne weiteres, aufgrund welcher Rechtsgrundlage welche Daten nun genau so lange zu speichern waren, wie der jeweilige konkrete Provider dies getan hat. Soweit jedoch Verkehrsdaten beim Provider tatsächlich vorliegen, ist er nach § 100g StPO verpflichtet, diese den Ermittlungsbehörden - im Regelfall auf richterliche Anordnung - auch zu übermitteln. Gegen die Verwertung der so erhobenen Verkehrsdaten wird gerne eingewandt, dass sie nur zulässig sei, wenn für jedes Datum im Einzelfall die Rechtsgrundlage für seine Speicherung geklärt sei. Die Rechtsprechung steht demgegenüber - soweit ersichtlich - auf dem Standpunkt, dass solche Nachforschungen nicht erforderlich sind, weil es auf die Rechtmäßigkeit der Datenspeicherung beim Provider für die Verwertung im Strafverfahren letztlich nicht ankomme. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts scheint diese Auffassung nunmehr zu bestätigen.

Fazit

Insgesamt bietet der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts also - mit Ausnahme der Verwerfung einer offenbar bestehenden langjährigen Praxis beim Deutschen Bundestag, nach der der Zeitpunkt des Ausscheidens eines Abgeordneten durch Mandatsverzicht vom Bundestagspräsidenten festgestellt bzw. festgesetzt wird - wenig neues, bestätigt aber in vielfältiger Weise - nicht nur hinsichtlich der Begründung eines Anfangsverdachts - bestehende verfassungs- und fachgerichtliche Rechtsprechung, so dass er insgesamt für die strafrechtliche Praxis von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein dürfte.

Titelbild: Joachim B. Albers / stock.adobe.com


  1. law blog: Kein Erfolg für Edathys Beschwerde; Strafakte.de: BVerfG: Verfassungsbeschwerde von Edathy ohne Erfolg) ↩︎

  2. Hier dargestellt anhand eines Berichts des NDR. ↩︎

  3. Auch dieser Aspekt des Falles würde schon ausreichend Stoff für eigene längere Ausführungen bieten. ↩︎

  4. Ob die kanadische Pressekonferenz dafür Anlass war oder ihm Hinweise aus anderen Quellen vorlagen, ist nicht bekannt. ↩︎

  5. Die Darstellung folgt von hier an nunmehr dem Sachverhalt der verfassungsgerichtlichen Entscheidung. ↩︎

  6. BVerfG, Beschluss vom 14.08.2014 - 2 BvR 969/14 -, Rn. 3. ↩︎

  7. BVerfG a.a.O., Rn. 4. ↩︎

  8. BVerfG a.a.O., Rn. 7-19. ↩︎

  9. BVerfG a.a.O., Rn. 32. ↩︎

  10. Der Bundestagspräsident war, wie schon dargestellt, mit Schreiben vom 06.02.2014 von der Aufnahme von Ermittlungen gegen E. informiert worden; das entsprechende Schreiben der ermittlungsführenden Staatsanwaltschaft Hannover ging ihm der Presseberichterstattung zufolge jedoch erst am 12.02.2014, also nach dem Mandatsverzicht, zu und war zudem geöffnet worden. In Anbetracht der Chronologie der Ereignisse ließen sich daraus sicherlich interessante Schlussfolgerungen ziehen, die jedoch nicht Gegenstand dieses Beitrags sein sollen. ↩︎

  11. Die entsprechenden Ausführungen des BVerfG legen dabei nahe, dass der Deutsche Bundestag bislang den “unmissverständlichen Wortlaut” von § 47 Abs. 3 S. 1 BWahlG in ständiger Praxis falsch ausgelegt hat. ↩︎

  12. Vgl. Diemer in KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 152 Rn. 7. ↩︎

  13. Diemer in KK-StPO, ebendort. ↩︎

  14. So bspw. Internet-Law: BVerfG: Hausdurchsuchung setzt Verdacht einer Straftat voraus, der auf konkreten Tatsachen beruht ↩︎

  15. In diese Richtung geht u.a. auch der Beitrag von VRBGH Fischer in der ZEIT (”Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy”, Die Zeit 10/2014). ↩︎

  16. Strafakte.de: ”Wer nichts zu verbergen hat, muss auch nichts befürchten”. ↩︎

  17. BVerFG a.a.O., Rn. 38. ↩︎

  18. BVerFG a.a.O., Rn. 40. ↩︎

  19. Der Schriftenbegriff des Strafgesetzbuches ist ein Oberbegriff, der gerade auch Abbildungen, Ton- und Bildträger umfasst, vgl. § 11 Abs. 3 StGB. ↩︎

  20. Vgl. Diemer in KK-StPO, § 152 Rn. 7. ↩︎

  21. So bspw. BVerfG, Beschluss vom 21. 1. 2008 - 2 BvR 1219/07 - (Verdacht des Abrechnungsbetrugs durch Arzt) oder BVerfG, Beschluss vom 6. 5. 2008 - 2 BvR 384/07 - (Verdacht der falschen Verdächtigung durch Rechtsanwalt). ↩︎

  22. BVerfG, Beschluss vom 14.08.2014 - 2 BvR 969/14 -, Rn. 41. ↩︎

  23. BVerfG, Beschluss vom 16.06.2009 - 2 BvR 902/06 -. ↩︎

  24. BVerfG, Beschluss vom 14.08.2014 - 2 BvR 969/14 -, Rn. 44-45. ↩︎

  25. BVerfG, Beschluss vom 15.12.2009 - 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08 -. ↩︎

  26. BVerfG, Beschluss vom 14.08.2014 - 2 BvR 969/14, Rn 21. ↩︎

  27. BVerfG a.a.O, Rn 46. ↩︎