Der Beschleunigungsgrundsatz ist ein das Verfahren in Haftsachen besonders prägender Grundsatz.

Der Beschuldigte, dem die Freiheit entzogen wird, obschon er bis zum rechtskräftigen Urteil als unschuldig zu gelten hat, um zu verhindern, dass er sich dem Verfahren entzieht, die Beweislage verschlechtert oder ggf. seine Taten wiederholt,[1] soll nicht länger als unbedingt nötig in dieser Situation verbleiben. Daher sind die Ermittlungen in diesem Fall mit größtmöglicher Beschleunigung zu führen; außerdem darf die Untersuchungshaft bis zum erstinstanzlichen Urteil – nach der gesetzgeberischen Vorstellung – nur im Ausnahmefall länger als sechs Monate andauern. Nach diesem Zeitraum erfolgt daher gem. §§ 121, 122 StPO zwingend eine besondere Haftprüfung vor einem Strafsenat des Oberlandesgerichts, der nicht nur die allgemeinen Voraussetzungen der Untersuchungshaft – nämlich das Bestehen eines dringenden Tatverdachts und das Vorliegen mindestens eines Haftgrundes – prüft, sondern auch, ob ausnahmsweise eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus durch den besonderen Umfang oder die besondere Schwierigkeit der Ermittlungen (oder einen anderen wichtigen Grund) gerechtfertigt ist.

Unter den Bedingungen der Praxis ist es nicht immer einfach, dem gesetzgeberischen Leitbild des vollständigen Verfahrensabschlusses binnen sechs Monaten zu genügen. Das liegt einerseits am oft notwendigen Umfang der Ermittlungen; heutzutage ist dort vieles möglich, umgekehrt wird aber auch vieles erwartet. Man erkennt im Vergleich der Jahre und Jahrzehnte schon am Umfang der Ermittlungsakten, aber auch an der Länge der Urteile, dass an Inhalt und Qualität der polizeilichen – und staatsanwaltschaftlichen – Ermittlungsarbeit (und an die Begründungsarbeit des Gerichts) heute andere Ansprüche gestellt werden als dies vielleicht im letzten Jahrhundert noch der Fall war; das beschränkt sich bei weitem nicht allein auf immer neue Belehrungspflichten und erhöhte Anforderungen an die Erfüllung bereits altbekannter Verpflichtungen. Überdies bieten natürlich die heutigen wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten nicht nur ein breites Feld der Betätigung in neuen Kriminalitätsbereichen, sondern ermöglichen umgekehrt auch neue Ermittlungsmethoden, sei es im Bereich der Massendatenauswertung oder auch – kriminalitätsbereichsübergreifend – in anderen Bereichen der Kriminaltechnik; man denke insoweit an den sog. „genetischen Fingerabdruck“ oder auch an die Möglichkeiten der Laser-3D-Vermessung, von Streiflichtaufnahmen u.a. Dokumentationsmitteln, die eine realistische Modellierung von Tatorten ermöglichen. Diese auszuschöpfen kostet Zeit.

Andererseits aber ergeben sich Verfahrensverzögerungen nicht selten auch durch eine (zu) knappe personelle Ausstattung namentlich der Staatsanwaltschaften und Gerichte, so dass sich in der Sachbearbeitung bei der Staatsanwaltschaft, insbesondere aber bei der Terminierung der Hauptverhandlung – unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit anderer Verfahrensbeteiligter wie Sachverständiger und natürlich Verteidiger – Leerläufe ergeben, die aufgrund der Arbeitsbelastung zwar faktisch nicht vermeidbar sind, aber die Fortdauer der Untersuchungshaft für sich nicht rechtfertigen können, weil der Staat verpflichtet ist, Gerichte und Strafverfolgungsbehörden für die Erfüllung ihrer Aufgaben ausreichend auszustatten und es nicht zu Lasten der Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten gehen kann, wenn dies im Einzelfall – oder auch in der Breite – einmal nicht der Fall sein sollte.

Rechtlich kommt der Praxis hier zu Hilfe, dass nicht nur Zeiträume einer Unterbrechung der Untersuchungshaft (zur Verbüßung von Strafhaft) bei der Berechnung der Sechsmonatsfrist nicht mitrechnen, sondern vor allem, dass die besondere Haftprüfung nach § 121 Abs. 2 S. 3 StPO auch dann unterbleibt, wenn die Hauptverhandlung begonnen hat. Zwar sind vermeidbare Verfahrensverzögerungen auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei einer Haftprüfung nach § 118 StPO zu berücksichtigen; dennoch kommt der Haftprüfung nach § 122 StPO in der Praxis insoweit eine besondere Bedeutung zu. Dementsprechend liegt der Terminierung des Vorsitzenden oft erkennbar das Ziel zugrunde, vor Ablauf der Sechsmonatsfrist mit der Hauptverhandlung wenigstens zu beginnen - nicht, dass das immer gelingen würde …

Schon unter diesem Gesichtspunkt, aber natürlich auch unter rein praktischen Gesichtspunkten der rechtzeitigen Vorlage der Akten - mit einer Stellungnahme des Gerichts - über die Staatsanwaltschaft und - mit deren Stellungnahme - dann über die Generalstaatsanwaltschaft an das Oberlandesgericht ist die Berechnung der Sechsmonatsfrist von erheblicher Bedeutung.

Auf den ersten Blick erscheint diese Frage einfach zu beantworten zu sein, weil die Strafprozessordnung nämlich in § 43 StPO eine Regelung zur Fristberechnung enthält. Dieser Regelung zufolge endet eine Monatsfrist mit Ablauf des Tages im letzten Monat der Frist, der seiner Zahl nach dem Tag des Fristbeginns entspricht. Vereinfacht gesprochen endet danach eine am 20.01. beginnende Frist von einem Monat mit Ablauf des 20.02., eine sechsmonatige Frist entsprechend mit Ablauf des 20.07. Wenn der Tag des Fristablaufs aufs Wochenende oder einen Feiertag fällt, verschiebt sich das Fristende auf den nächsten Werktag (§ 43 Abs. 2 StPO).

Diese einfache Lösung gilt aber nur auf den ersten Blick. Nimmt man nämlich die Kommentierung zu Hilfe, so kann man dieser entnehmen, dass nach der wohl noch herrschenden Literaturmeinung die Regelung des § 43 nicht auf die Frist des § 121 StPO anzuwenden ist. Dementsprechend wird in der Regel bei der Berechnung dieser Frist der erste Tag der Untersuchungshaft mitgezählt, mit der Folge, dass die Frist einen Tag früher endet; bei am 20.01. beginnender Untersuchungshaft endet nach dieser Berechnungsweise die Frist für die besondere Haftprüfung vor dem Senat des Oberlandesgerichts also bereits am 19.07. Ohne dass dies in der Kommentierung gesondert erwähnt würde, verfährt die Praxis dann auch so, dass im Falle des Fristendes an einem Wochenende oder Feiertag der Fristablauf auf den letzten Werktag vor diesem Tag verschoben wird. Diese Vorgehensweise ist insoweit nachvollziehbar, als die Fristregelung aus § 43 StPO im Regelfall dem Beschuldigten (im weiteren Sinne, der auch den Angeschuldigten oder Angeklagten erfasst) günstig ist, weil ihm diese Regelung die bestehende Frist nicht verkürzt, sondern im Zweifelsfall verlängert; in diesem Sonderfall, wo sich die Frist ausdrücklich an die Strafverfolgungsorgane (bzw. das Gericht) richtet, würde die Anwendung des § 43 StPO den Beschuldigten aber benachteiligen. Insofern erscheint es durchaus interessengerecht, in diesem Falle eine – dem Gesetz allerdings nicht zu entnehmende – Fristberechnung vorzunehmen; so verfährt offenbar im wesentlichen auch die Praxis.

Dem tritt nunmehr – nach dem OLG Hamm[2] – auch das OLG Stuttgart in einer aktuellen Entscheidung[3] entgegen und beruft sich dabei auf die neuere Entwicklung auch in der Literatur, bspw. in den Kommentaren von Meyer-Goßner/Schmitt[4] und im Karlsruher Kommentar.[5] Kernargument des Oberlandesgerichts ist dabei, dass die gesetzliche Fristenregelung eindeutig sei; dem Wortlaut des Gesetzes entsprechend sei § 43 StPO anzuwenden, und wenn der Gesetzgeber für die Frist des § 121 StPO eine abweichende Regelung hätte vorschreiben wollen, dann hätte er das tun können, wie er das auch im Falle der Vorführung vor den Richter nach vorläufiger Festnahme – hier allerdings konkret im Umsetzung von Art. 104 Abs. 2 S. 3 GG – getan hat. Auch das Gewicht des Freiheitsgrundrechts des Beschuldigten und das Rechtsstaatsprinzip zwinge nicht zu einer vom Gesetz abweichenden Berechnung der Frist, zumal sich die besondere Haftprüfung allenfalls um einige Tage verschieben könne, nämlich einmal um einen Tag aufgrund der Berechnungsweise und ein anderes Mal, wenn das Fristende auf ein Wochenende oder einen Feiertag fällt. Wenn also jemand an einem der Tage zwischen dem 03.04.2014 und dem 06.04.2010, jeweils einschließlich, in Untersuchungshaft genommen worden sein sollte, wäre der Sechsmonatstermin nach der bisher verbreiteten Berechnung in jedem Fall der 02.10.2014, nach der Berechnungsweise des OLG Stuttgart aber immer der 06.10.2014.

Zudem verweist das Oberlandesgericht – zutreffend – darauf, dass die Kommentierung nicht nur teilweise innerhalb desselben Werks widersprüchlich sei (weil die Kommentierung der Fristenvorschriften an mancher Stelle noch die bisherige Ansicht vertritt, in der Kommentierung zu § 121 StPO aber nunmehr eine andere Ansicht vertreten wird), sondern in der Kommentarliteratur teilweise zwar § 43 StPO auch für die Fristberechnung im Rahmen des § 121 StPO für anwendbar erklärt, aber dennoch – entgegen der Regelung des § 43 Abs. 1 StPO - der Tag des Untersuchungshaftbeginns ohne weitere Begründung mitgezählt werde. Teilweise werde nämlich bei der Kommentierung zu § 121 erklärt, dass die Frist nach § 43 StPO zu berechnen sei, dann aber ohne weiteres der Tag des Haftbeginns mitgerechnet, was § 43 StPO eben nicht vorsieht.[6] Auch sonst werde für die abweichende Fristberechnung im Rahmen des § 121 StPO keine weitere Begründung angegeben.[7]

Zumindest in den Bezirken der Oberlandesgerichte Hamm und Stuttgart wird die Praxis diese Rechtsprechung zur Fristberechnung zukünftig zu berücksichtigen haben; angesichts fehlender abweichender Rechtsprechung anderer Obergerichte[8] haben diese Entscheidungen aber durchaus auch bundesweite Bedeutung.

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  1. Die Haftgründe der Flucht oder Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr und Wiederholungsgefahr, die zu einem dringenden Tatverdacht hinzukommen müssen, finden sich in §§ 112. Abs. 2, 112a StPO. ↩︎

  2. OLG Hamm, Beschluss vom 08.08.2007 - 3 Ws 429/07 - mit Verweis auf “stillschweigend” gleichlautende ältere Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Braunschweig, Frankfurt und Hamburg. ↩︎

  3. Beschluss vom 16.09.2014 - 1 HEs 89/14 -. ↩︎

  4. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl. 2014, § 121 Rn. 4; so erst seit der 56. Aufl. 2012 und bei Vor. § 42 StPO Rn. 2 noch widersprüchlich ↩︎

  5. Schultheis in KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 121 Rn. 6; so erst seit der 6. Aufl. 2008 ↩︎

  6. So - zitiert nach der Entscheidung des OLG Stuttgart - Wankel im KMR, StPO, Stand Dezember 2012, § 121 Rn. 2 und 3; Herrmann in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 1. Aufl. 2014, § 121 Rn. 46 und 42). ↩︎

  7. So - zitiert nach der Entscheidung des OLG Stuttgart - Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, a. 0., § 121 Rn. 13; Krauß in BeckOK-StPO, Edition 18, Stand 24. März 2014, § 121 Rn. 3; Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 121 Rn. 4; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl. 2005, § 121 Rn. 2; Tsambikakis in Radtke/Hohmann, StPO, 1. Aufl. 2011, § 121 Rn. 4 sowie Meyer-Goßner bis 2012 und KK-StPO bis 2003. ↩︎

  8. Mir wären jedenfalls keine solchen Entscheidungen ersichtlich. ↩︎