Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Beschluss vom 01.08.2014 - 2 BvR 200/14 - nochmals seine Rechtsprechung zum Vorliegen eines Anfangsverdachts, insbesondere im Zusammenhang mit kinderpornographischen Schriften, und zum Umfang sowie zur notwendigen Eigenständigkeit der richterlichen Prüfung beim Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen bestätigt.[1] Exakt diese Rechtsfragen waren u.a. hier im Blog im Zusammenhang mit den Durchsuchungen bei dem früheren Bundestagsabgeordneten E. und bezüglich des Durchsuchungsbeschlusses für die Räumlichkeiten der Regionalzeitung “Darmstädter Echo bereits Gegenstand der Betrachtung.

Verfahrensgang und Verfahrensgestaltung

Der neuen verfassungsgerichtlichen Entscheidung vorausgegangen war eine einstweilige Anordnung des BVerfG vom 05.02.2014, mit der das BVerfG noch “die Sichtung und Auswertung der am 25. September 2013 in den Wohnräumen des Beschwerdeführers [….] sichergestellten Beweisgegenstände […] bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde” untersagt hatte. Über die Begründung dafür mag man streiten, soweit das BVerfG sich in der Abwägung darauf stützt, “der Strafverfolgungsanspruch des Staates [werde] nicht gravierend beeinträchtigt”, wenn gerade die ohnehin aufgrund des Aufwands zeitaufwendige Auswertung von Datenträgern bei knappen Kapazitäten in diesem Bereich bis zu sechs Monaten verzögert wird, aber möglicherweise darf man daraus dann umgekehrt den Schluss ziehen, dass eine Verfahrensverzögerung durch Ermittlungsstillstand von sechs Monaten - außerhalb von Haftsachen - insgesamt nicht gravierend ist? Wer weiß.

Die Verfahrensgestaltung in Hinblick auf die Frage nach dem Anfangsverdacht ähnelte im hiesigen Fall zumindest teilweise dem Fall E., nämlich insoweit, als der Erwerb der betreffenden “Posing-Darstellungen” am 06.10.2007 bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses am 10.07.2013 etliche Jahre zurücklag und damals auch noch nicht strafbewehrt war (!), aber die Staatsanwaltschaft (hier die GenStA Frankfurt, Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) mit Sitz in Gießen) argumentierte, zum einen würden solche Abbildungen in der Regel langjährig aufbewahrt, zum anderen sei “nach kriminalistischer Erfahrung […] zu erwarten, dass sich der Beschwerdeführer auch über andere Bezugsmöglichkeiten im Internet weitere kinderpornographische Bild- oder Videoaufzeichnungen verschafft habe”. Im Unterschied zum Fall E. war der Besitz der “Posing-Darstellungen” in diesem Fall ,immerhin zwischenzeitlich strafbar geworden durch die Verschärfung der Vorschrift des § 184b StGB mit Wirkung vom 04.11.2008, bei der dort der Begriff des “sexuellen Missbrauchs von Kindern” durch den weitergehenden Begriff der “sexuellen Handlungen von, an oder vor Kindern” ersetzt worden war. Außerdem war der Beschuldigte zwar gleichfalls nicht vorbestraft, ein gegen ihn geführtes einschlägiges Ermittlungsverfahren war aber immerhin gegen Zahlung einer Geldauflage von 2.500,- € nach § 153a StPO eingestellt worden.

Der Verfahrensgang ähnelt außerdem den bisher bekanntgewordenen Einzelheiten des Verfahrens rund um das “Darmstädter Echo” insoweit, als der Ermittlungsrichter den Durchsuchungsbeschluss “aufgrund eines Entwurfs der Staatsanwaltschaft” erlassen hatte, also wohl einen entsprechenden, dem Antrag beigefügten Beschlussentwurf durch seine Unterschrift unverändert erlassen hatte, wie dies in der Praxis weithin dem Regelfall entsprechen dürfte.

Die Entscheidung

Das Verfassungsgericht stellt in seiner Entscheidung zunächst noch einmal schulmäßig die verfassungsrechtlichen Anforderungen an richterliche Durchsuchungsanordnungen dar (Einhaltung des Richtervorbehalts durch Beschlusserlass nach eigenständiger Prüfung mit dem Ziel, “die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten”; Anfangsverdacht; Verhältnismäßigkeit).

Richtervorbehalt und vorgefertigte Entwürfe

Es hält dann fest, dass die Übernahme eines staatsanwaltschaftlichen Beschlussentwurfs - nach (von außen allerdings nicht feststellbarer) Prüfung durch den Richter - dem Richtervorbehalt genügt und bestätigt damit seine bisherige, bereits an anderer Stelle dargestellte Rechtsprechung:[2]

Allein die wörtliche Übernahme einer Antragsbegründung der Staatsanwaltschaft durch den Ermittlungsrichter rechtfertigt allerdings nicht die Annahme, eine eigenverantwortliche Prüfung durch den Richter habe nicht stattgefunden […]. Durch seine Unterschrift bezeugt der Ermittlungsrichter vielmehr, dass er den von der Unterschrift gedeckten Text geprüft und in seinen Willen aufgenommen hat und damit als Richter verantwortet. Die gegenteilige Annahme kann nur bei Vorliegen hinreichender und konkreter Anhaltspunkte dafür begründet sein, dass eine eigenständige richterliche Prüfung nicht stattgefunden hat. Derartige Anhaltspunkte- etwa die unkorrigierte Übernahme sinnentstellender sprachlicher Fehler oder sonst offenkundiger Mängel im Antrag der Staatsanwaltschaft - fehlen im vorliegenden Fall. Es handelt sich vielmehr um einen für den konkreten Einzelfall begründeten Entwurf einer Durchsuchungsanordnung und damit um einen Text, der über eine bloß formelhaft-allgemein formulierte Begründung hinausgeht.

Ich halte diese Auffassung weiterhin für richtig, weil ich den Mehrwert einer bloß formalen Umformulierung zutreffender Beschlussgründe nicht erkennen kann - man darf aber das Problem der “ungeprüfte[n] bloße[n] Übernahme der in das Verfahren eingebrachten Anträge und Entwürfe”, die sich nach richtiger Auffassung des BVerfG “verbietet”, andererseits auch nicht unterschätzen. In der Praxis wundert man sich das eine oder andere Mal sicherlich, wenn eine Vielzahl von (wenn auch inhaltlich ähnlichen) Anträgen zu einer im Tatsächlichen schon nicht ganz einfachen und rechtlich sogar durchaus komplexen Materie aus einem Spezialgebiet, deren Entwürfe daher jeweils etliche Seiten umfassen und die von mehreren Stehordnern Akten begleitet werden, bereits am selben Tag des Eingangs bei Gericht nicht nur bearbeitet, sondern auch alle Beschlüsse antragsgemäß erlassen werden und am Morgen oder Mittag des Folgetages bereits wieder beim Antragsteller vorliegen. In solchen - fraglos seltenen - Fällen stellt sich dann schon eine gewisse Bewunderung für die schnelle Auffassungsgabe und die umfassende Rechtskenntnis des Gerichts ein; und möglicherweise auch ein leichter Zweifel …

Anfangsverdacht (bei kinderpornographischen Schriften)

Zur Frage des Anfangsverdachts in dieser Konstellation führt das Gericht dann weiter aus:

Die Fachgerichte haben ohne Verfassungsverstoß berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer zwischen 2006 und 2008 eine große Anzahl weiterer Filme mit Nacktdarstellungen von Kindern über dieselbe Webseite bezogen haben soll, über die er auch den als kinderpornographisch eingestuften Film erhalten haben soll; dies legt ein sexuelles Interesse an Kindern nahe. Ein weiterer Anhaltspunkt für eine solche Neigung ist, dass gegen den Beschwerdeführer in der Vergangenheit bereits wegen einschlägiger Delikte ermittelt und ein Verfahren allein aus Opportunitätsgründen gegen Zahlung eines Geldbetrages an den Kinderschutzbund eingestellt worden war. Schließlich spricht die für die bezogenen Filme gezahlte Gesamtsumme von 1.440,- US-Dollar für die Annahme, der Beschwerdeführer habe die gelieferten Filme dauerhaft in seinem Besitz behalten.

Die zu diesen tatsächlichen Anhaltspunkten hinzutretende Heranziehung kriminalistischer Erfahrungssätze für die Annahme des fortdauernden Besitzes begegnet ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Danach durften die Fachgerichte berücksichtigen, dass bei Menschen mit pädophiler Neigung unter anderem ein Hang zum Sammeln und Aufbewahren einmal erworbenen Materials vorliegt, um das Material stets zur Verfügung zu haben und es mit Gleichgesinnten auszutauschen. Ebenso konnte von der Möglichkeit des Bezugs weiterer kinderpornographischer Schriften ausgegangen werden. Diese Erfahrungssätze durften den angegriffenen Entscheidungen schon im Zeitpunkt ihres Erlasses auch ohne Berücksichtigung des erst im Verfassungsbeschwerdeverfahren vorgelegten Materials zugrunde gelegt werden.

Das BVerfG vertritt also zum einen die Auffassung, dass der Bezug einer großen Anzahl von - zumindest zu diesem Zeitpunkt legalen! - Nacktdarstellungen von Kindern den Schluss auf eine “pädophile Neigung” zulässt, was dann den weiteren Schluss auf die längerfristige Aufbewahrung bis über den Verjährungszeitpunkt der Beschaffung hinaus und auf die Beschaffung weiterer, zumindest vergleichbarer Darstellungen zulasse. Nachdem hier - offenbar - nur Abbildungen betroffen waren, die zumindest nach der Beschaffung einem späteren Besitzverbot unterfielen, geht dieser Schluss hier nicht so weit wie in der (zeitlich erst rund zwei Wochen später ergangenen) Entscheidung in Sachen E., weil hier aus einer legalen Handlungsweise zunächst nur auf die weitere Beschaffung zu diesem Zeitpunkt wohl ebenfalls legaler Filmwerke, dann aber immerhin auch auf strafbaren fortdauernden Besitz geschlossen wird. Die spätere Argumentation im Fall E. ist jedoch bereits angelegt in Form des Schlusses “Verschaffung noch legaler Nacktbilder von Kindern deutet auf pädophile Neigung, die wiederum den Schluss auf anderweitige Beschaffung vergleichbarer Werke zulässt” und des weiteren Schlusses, dass die pädophile Neigung auch die Vermutung begründet, die straflos beschafften Nacktbilder würden trotz nunmehriger Strafbarkeit des Besitzes weiter verwahrt. Der nächste Argumentationsschritt “Verschaffung noch legaler Nacktbilder bedeutet pädophile Neigung, pädophile Neigung bedeutet die Verschaffung auch illegaler Bilder” ist dann aber tatsächlich nur noch einen kleinen Schritt (und zeitlich hier knapp 14 Tage) entfernt.

Titelbild: © H.D.Volz / pixelio.de


  1. Genau genommen liegt dieser Beschluss sogar zeitlich früher als die Entscheidung im Fall E. ↩︎

  2. BVerfG, Beschluss vom 17. 3. 2009 - 2 BvR 1940/05 -. ↩︎