Grundsätzlich ist im Ermittlungs- und Strafverfahren jeder Zeuge zur (wahrheitsgemäßen und vollständigen) Aussage - vor Gericht und vor der Staatsanwaltschaft - verpflichtet. Ausnahmen davon hat der Gesetzgeber im wesentlichen nur in vier Fällen vorgesehen:
- in § 53 StPO für manche Berufsgruppen (wobei die Fallgruppen der Zeugnisverweigerungsberechtigten dabei nicht mit denen der Schweigepflichtigen in § 203 StGB identisch sind!),
- außerdem für Beamte, die gemäß § 54 StPO nur dann und in dem Umfang aussagen müssen, in dem ihnen eine Aussagegenehmigung erteilt worden ist,
- ferner für alle Fälle, in denen der Zeuge mit einer wahrheitsgemäßen Aussage sich selbst oder einen nahen Verwandten in die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung bringen könnte,
- und schließlich ist (parallel zu diesem in § 55 StPO normierten Auskunftsverweigerungsrecht) in § 52 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht für nahe Verwandte des/der jeweiligen Beschuldigten (Angeschuldigten, Angeklagten[1]) normiert.
Dieses letztgenannte Zeugnisverweigerungsrecht berechtigt zunächst jeden, der mit dem Beschuldigten "in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war", in Vernehmungen insgesamt oder teilweise zu schweigen. Entscheidet dieser Zeuge sich allerdings dafür, Angaben zu machen, müssen diese Angaben (vollständig und) wahr sein, dürfen also nicht wahrheitswidrig den beschuldigten Verwandten entlasten.[2] Diese Entscheidung, ob er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, kann der Verwandte bei jeder Vernehmung erneut - und auch jederzeit im Verlauf einer Vernehmung - treffen; wenn er sich erst in der Hauptverhandlung zum Schweigen entscheidet, werden zudem alle vorangegangenen Aussagen unverwertbar und können weder durch Verlesung der aufgenommenen Vernehmungsprotokolle noch durch Vernehmung der Vernehmungspersonen in den Prozess eingeführt werden (§ 252 StPO).[3] Die einzige Ausnahme von diesem Verwertungsverbot betrifft eine richterliche Vernehmung des Zeugen; diese kann (nicht durch Verlesung des Protokolls, aber) durch Vernehmung des betreffenden Richters verwertet werden, allerdings nur dann, wenn der Zeuge bei der richterlichen Vernehmung ordnungsgemäß über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt wurde.[4]
Dasselbe Recht hat auch derjenige, der mit dem Beschuldigten verheiratet ist oder war (!), und entsprechend denjenige, der mit dem Beschuldigten verpartnert ist oder war. Diese dort in § 52 StPO genannte "Lebenspartnerschaft" ist die gesetzesamtliche Bezeichnung der umgangssprachlich oft als "Homo-Ehe" bezeichneten gleichgeschlechtlichen, der Ehe mittlerweile im wesentlichen gleichgestellten dauerhaften Lebensbeziehung; nicht gemeint sind - ein häufiges Missverständnis dieser Norm - Partnerschaften im Sinne "bloßer" Lebens(abschnitts)gefährten, also das, was man früher einmal als "wilde Ehe" zu bezeichnen pflegte.
Und schließlich kommt dieses Zeugnisverweigerungsrecht auch dem oder der Verlobten des Beschuldigten (und entsprechend auch demjenigen, der eine Lebenspartnerschaft, vulgo "Homo-Ehe", einzugehen versprochen hat) zu. Dabei ist ein Verlöbnis definiert als das gegenseitige und ernsthafte Versprechen, die Ehe miteinander einzugehen; die zivilrechtliche Wirksamkeit dieses Versprechens - oder eine wie auch immer geartete nach außen erkennbare Proklamation - ist nicht erforderlich; ein bestehendes anderes Verlöbnis oder vor allem auch eine (noch) bestehende Ehe eines der "Verlobten" schließen ein Verlöbnis allerdings aus.
In allen Fällen spricht unsere Rechtsordnung dieses Zeugnisverweigerungsrecht den nahen Verwandten, Ehepartnern und Verlobten deshalb zu, weil diese sich ansonsten in einer Konfliktsituation zwischen ihrer nahen persönlichen Beziehung zu dem Beschuldigten und der strafbewehrten Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage befinden würden. Das Strafprozessrecht löst diesen Konflikt in der Weise auf, dass es dem Zeugen die Entscheidung erlaubt, ob - und ggf. was - er wahrheitsgemäß sagen möchte oder ob er lieber schweigen möchte. Diese Regelung ist wohl ohne Frage im Grundsatz auch richtig und angemessen.
Problematik der Spontanverlobungen
Problematisch in mehrerlei Hinsicht wird sie aber, soweit sie auch Verlobte begünstigt.
Das liegt im wesentlichen darin begründet, dass die Ehe im Alltagsleben wie auch in unserer Rechtsordnung nicht mehr die Stellung einnimmt, die ihr früher einmal zukam. War es noch vor wenigen Jahrzehnten kaum denkbar, unverheiratet zusammenzuleben, so ist dies heute ein weit verbreitetes und in der öffentlichen Meinung wie auch der Rechtsordnung anerkanntes alternatives und im wesentlichen gleichwertiges Lebensmodell. Mit diesem Bedeutungsverlust oder jedenfalls diesem Verlust der Alleinstellung der Ehe als einzig akzeptierte Form des Zusammenlebens in einer (auch sexuell aktiven) Partnerschaft verbunden war ein noch weitergehender Bedeutungsverlust des einer Ehe vorangehenden Eheversprechens, des Verlöbnisses also. War die Verlobung noch vor einer, jedenfalls aber zwei Generationen ein sehr ernsthafter Akt, waren an die Auflösung des Verlöbnisses durchaus entsprechende Rechtsfolgen geknüpft[5], ist eine Verlobung heute ebenso schnell und faktisch folgenlos geschlossen wie gelöst.
Daraus ergibt sich dann auch das praktische Problem: empfindet ein Zeuge, eine Zeugin eine gewisse Verbundenheit zu einem Beschuldigten, kann er oder sie sich jederzeit durch eine letztlich nicht wirklich überprüfbare und jederzeit widerrufliche formlose Erklärung ihrer Zeugenpflicht entziehen. Es genügt, ggf. noch im Gerichtssaal[6] ein gegenseitiges Eheversprechen abzugeben, dessen Ernsthaftigkeit sich regelmäßig nicht sofort widerlegen lässt[7] - an das aber im Ergebnis keiner der Beteiligten gebunden ist, denn das Verlöbnis lässt sich ebenso schnell nach dem Prozess wieder beseitigen, und auch sein Bestand führt zu keiner im täglichen Leben oder im Rechtsverkehr erkennbaren Konsequenz. Verhindern lässt sich eine solche "Ausschaltung" eines für die Erforschung der Wahrheit möglicherweise sehr bedeutsamen Zeugen nach derzeitiger Rechtslage nicht.
Diese Rechtslage erscheint mir allerdings mittlerweile völlig unangemessen. Angesichts der geänderten Bedeutung eines Verlöbnisses stellt sie heutzutage keine geeignete Abwägung der persönlichen Belange des Zeugen auf der einen Seite gegen die berechtigten Belange einer effektiven Strafverfolgung auf der anderen Seite mehr dar. Es ist meines Erachtens nicht hinzunehmen, dass letztlich Zeugen und Beschuldigte selbst darüber bestimmen können, ob der Zeuge ein Zeugnisverweigerungsrecht haben soll oder nicht.
Anders wäre das nur, wenn das Zeugnisverweigerungsrecht der Verlobten entfallen würde; für das Zeugnisverweigerungsrecht der Ehepartner eine Eheschließung besteht diese Problematik nämlich nicht in gleicher Weise. Zwar sind auch Ehen in der Praxis wie der öffentlichen Meinung nicht mehr mit der früheren "Ewigkeitsgarantie" versehen; eine Eheschließung ist aber immerhin ein überprüfbarer Vorgang mit rechtlichen Konsequenzen, der sich auch nicht sofort und ohne weiteres wieder umkehren lässt - es hat ja durchaus seinen guten Grund, dass in solchen Fällen "Spontanverlöbnisse" stattfinden (oder meistens wohl richtiger: fingiert werden) und nicht "mal eben" geheiratet wird.
Ungleichbehandlung unverheirateter Paare
Neben der "Beliebigkeit" von Verlobung und deren Auflösung ergibt auch ein Vergleich zwischen der Rechtsstellung Verlobter und derjenigen unverheirateter Paare, dass die derzeitige gesetzliche Regelung nicht mehr sachgerecht ist und an der heutigen Lebenswirklichkeit vorbeigeht. Die - vielleicht flüchtige - Freundin, die dem Angeklagten im Gerichtssaal ein "Schatz, ich will Dich heiraten!" zuruft, das er mit einem "Ich auch!" erwidert, ist ihrer Zeugenpflichten damit ledig; die seit 25 Jahren mit dem Angeklagten und den fünf gemeinsamen Kindern unverheiratet zusammenlebende Frau aber hat umfassend und ohne jede Möglichkeit eines Zeugnisverweigerungsrechtes Angaben zu machen, obwohl sie sich zumindest in derselben, aller Voraussicht nach aber in einer weit schärferen Konfliktsituation befinden wird als eine Verlobte, deren Verlöbnis jedenfalls in der Regel nicht Jahre oder Jahrzehnte andauern wird und auch nicht regelhaft mit gemeinsamen Kindern verbunden ist.
Auch diese Überlegung bestätigt die Unangemessenheit der derzeitigen Regelung - dass auch die langjährige (aber bewusst unverheiratet gebliebene) Partnerin für die Hauptverhandlung schnell eine Verlobung fingieren kann, die danach wieder gelöst wird, führt zu keinem rechtlich oder praktisch befriedigenderen Ergebnis.
Unmöglichkeit der Aussagesicherung
Verschärft wird die Problematik schließlich noch dadurch, dass die derzeitige Rechtslage (nur) in der Konstellation des/der Verlobten als (Belastungs-)Zeugen eine zeitnahe Klärung der bestehenden Beweislage unmöglich macht.
Ist - wie gerade in Fällen häuslicher Gewalt nicht selten - die Ehefrau eine wichtige oder die einzige Belastungszeugin (und zugleich Geschädigte), so kann zeitnah eine (ordnungsgemäße) richterliche Vernehmung stattfinden. Macht die Zeugin dort Angaben, dann stehen diese dort gemachten Angaben - nicht mehr, nicht weniger - auch in der späteren Hauptverhandlung zur Überführung des Beschuldigten (dann Angeklagten) zur Verfügung. Macht sie dort von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, lässt sich bereits zu diesem frühen Zeitpunkt prüfen, ob der Tatnachweis auch anders geführt werden kann; sollte das nicht der Fall sein, können dann die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden. Das kann zum Beispiel die Entlassung eines inhaftierten Beschuldigten aus der Untersuchungshaft oder auch die Vermeidung kostspieliger und aufwendiger, aber dann überflüssiger weiterer Ermittlungen bedeuten. Eine frühe richterliche Vernehmung kann hier (und in allen anderen Konstellationen des § 52 StPO) also entweder die Beweise sichern oder klären, dass die Angaben des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen nicht als Beweismittel zur Verfügung stehen.
Anders beim späteren Verlöbnis (und theoretisch freilich auch einer späteren Eheschließung, die aber, wie schon dargestellt, praktisch keine Rolle spielt). Die (noch) nicht verlobte Zeugin richterlich zu vernehmen, hilft nichts; denn zum Zeitpunkt der Vernehmung hat sie noch kein Zeugnisverweigerungsrecht, über das sie belehrt werden könnte, und eine Belehrung, dass sie später schweigen könne, falls sie sich mit dem Beschuldigten verlobe (oder ihn heirate), ist wirkungslos.[8] Wenn sie sich aber später irgendwann verlobt und dann - was damit einherzugehen pflegt - von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, ist es für eine richterliche Vernehmung zu spät. Ist die entscheidende Zeugin also "nur" die Freundin - oder der Freund! - des Beschuldigten, nicht aber die Ehefrau (oder der Lebenspartner!), ist bis zu ihrer (oder seiner!) Vernehmung in der Hauptverhandlung offen, ob ein Tatnachweis wird geführt werden können oder nicht.
Auch das ist ein kaum erträglicher Zustand.[9]
Die hiesige Meinung
Geboten ist daher aus meiner Sicht eine zeitnahe Abschaffung des Zeugnisverweigerungsrechts der Verlobten (und derjenigen, die die Begründung einer Lebenspartnerschaft versprochen haben - die Parallelregelung wurde durch den Gesetzgeber bei der Schaffung des Lebenspartnerschaftsgesetzes mehr oder weniger mechanisch in § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO eingefügt[10]), mithin die ersatzlose Streichung von § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO. Nicht ohne Grund wurde auch das in § 1300 BGB geregelte "Kranzgeld" gestrichen.[11]
Alternativ könnte die Begünstigung von Verlobten durch ein entsprechendes Recht für zusammenlebende Paare mit gemeinsamen Kindern ersetzt werden, auch wenn dies aus Sicht der Strafverfolgung freilich eine weniger günstige Regelung wäre, oder durch die Rechtsprechung - oder auch den Gesetzgeber - die Möglichkeit einer Verwertung richterlicher Vernehmungen bei "vorsorglicher" Belehrung der noch nicht Verlobten durch den Richter vor der Vernehmung geschaffen oder schließlich das Verwertungsverbot des § 252 StPO auf Angaben beschränkt werden, die nach Verlöbnis - oder Eheschließung - gemacht wurden, analog zu der Vorgehensweise im Bereich des Zeugnisverweigerungsrechtes aus § 53 StPO. Möglicherweise wäre sogar letzteres der Königsweg.
Wünschenswert wäre, dass der Gesetzgeber, der ansonsten ja ständig und vielfältig strafprozessuale und materiell-strafrechtliche Änderungsregelungen in kaum noch übersehbarer Zahl - und oft von zweifelhaftem praktischen Wert[12] - trifft, auch hier einmal entsprechende Aktivitäten entfalten würde.
Titelbild: © Rainer Sturm / pixelio.de
Vgl. für die Terminologie § 157 StPO. ↩︎
Selbstverständlich darf ein zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge sich auch dazu entscheiden, nur teilweise auszusagen. Er muss dann aber kenntlich machen, wo er schweigen will, so dass seine Aussage nicht durch das unerkennbare Verschweigen wesentlicher Punkte inhaltlich unrichtig wird. ↩︎
Allgemeine Meinung, vgl. bspw. Diemer in KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 252 Rn. 1. ↩︎
Nach der Auffassung des 2. Strafsenats (Anfragebeschluss vom 04.06.2014 - 2 StR 656/13 -) sogar nur dann, wenn er darüber hinaus auch ("qualifiziert") darüber belehrt wurde, dass seine richterliche Vernehmung auch dann verwertbar bleibt, wenn er sich später entscheidet, lieber zu schweigen, vgl. dazu auch meinen Beitrag "Neue Besen kehren gut?". ↩︎
Das Fmilienrecht im vierten Buch des BGB widmet dem Verlöbnis im ersten Abschnitt einen eigenen Titel (§§ 1297 ff. BGB) und trifft bzw. traf Regelungen für den Fall einer Auflösung einer Verlobung, nämlich über die Rückgabe von Geschenken (§ 1301 BGB) und über Schadensersatz für eine Frau, die im Vertrauen auf das Eheversprechen ihrem Verlobten den Beischlaf gestattete und so ihre Jungfräulichkeit verlor (Kranzgeld, § 1300 BGB). ↩︎
Siehe hierzu das in der Strafakte am 09.10.2014 dargestellte Beispiel: Verlobung im Gerichtssaal. ↩︎
Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen wird eine Verwertung der früheren Vernehmung dennoch in Betracht kommen, weil das Zeugnisverweigerungsrecht gezielt allein zur Erzielung eines Verwertungsverbotes manipulativ herbeigeführt wurde, vgl. dazu Sander/Cirener in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, § 252 Rn. 3 m.w.N. ↩︎
So jedenfalls wohl die herrschende Meinung, vgl. dazu Sander/Cirener in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, § 252 Rn. 27; zweifelnd BGH, Urteil vom 08.12.1999 - 5 StR 32/99 -, Rn. 17 ff. bei juris. ↩︎
Dem allerdings durch entsprechende Rechtsprechung zu einer "vorsorglichen" Belehrung abgeholfen werden könnte. ↩︎
Vgl. Senge in KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 52 Rn. 13a. ↩︎
Durch das Eheschließungsrechtsgesetz (EheschlRG) vom 04.05.1998, nachdem bereits 1992 das Amtsgericht Münster die Anwendbarkeit der Vorschrift verneint hatte (Urteil vom 08.12.1992 - 50 C 628/92 -). ↩︎
Man denke bspw. an das 3. Opferrechtsreformgesetz oder das StORMG. ↩︎