Der Blick in die Presse im Mai führt uns in das Ordnungswidrigkeitenrecht, sozusagen die kleine Schwester des Strafrechts.

Das Ordnungswidrigkeitenrecht

Ordnungswidrigkeiten sind Handlungen, die mit Bußgeld geahndet werden können, so sinngemäß § 1 Abs. 1 OWIG - "Verwaltungsunrecht" bietet sich als griffige Bezeichnung an. Das "Gesetz über Ordnungswidrigkeiten" (OWiG) regelt sowohl das Bußgeldverfahren (äquivalent zur StPO) als auch einige Ordnungswidrigkeiten (vergleichbar zum StGB), die jedoch insgesamt von geringer praktischer Bedeutung sind. Im Gegensatz zum Strafrecht liegt der quantitative Schwerpunkt des Ordnungswidrigkeitenrechts in dem gerne als "Nebenstrafrecht" bezeichneten Bereich, nämlich in Vorschriften innerhalb anderer, regelmäßig dem Verwaltungsrecht zuzuordnender Gesetze - und den ganz überwiegenden Teil machen Verkehrsverstöße, Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten, aus.

Verwaltungsunrecht wird - in erster Linie - durch die Verwaltung geahndet; so hat im Bußgeldverfahren die "Verwaltungsbehörde" zunächst die Stelle inne, die im Strafverfahren der Staatsanwaltschaft zukommt. Das ist insbesondere in abseitigeren Rechtsgebieten durchaus sinnvoll, weil die Verfolgungszuständigkeit dort dann in der Regel auch einer Fachbehörde zufällt, die mit der Spezialmaterie vertraut ist (dafür allerdings nicht selten mit Bußgeldverfahren so ihre Schwierigkeiten hat, aber das ist ein anderes Thema). Nach dem Abschluss ihrer Ermittlungen erlässt die Verwaltungsbehörde - ohne Beteiligung von Staatsanwaltschaft oder Gericht! - zur Ahndung der Ordnungswidrigkeit jedenfalls einen Bußgeldbescheid, der eine Geldbuße und ggf. Nebenfolgen (insbesondere ein Fahrverbot) festsetzt. Wird dieser Bußgeldbescheid rechtskräftig, kann er ohne weiteres vollstreckt werden. Legt der Betroffene - so heißt der "Beschuldigte" im Bußgeldverfahren - jedoch Einspruch ein, prüft die Verwaltungsbehörde den Sachverhalt erneut; hält sie an ihrer Entscheidung fest, legt sie die Akten über die Staatsanwaltschaft dem Bußgeldrichter am Amtsgericht vor (und zwar demjenigen, der für ihren Sitz zuständig ist). Dann kommt es zur Hauptverhandlung, die mit einem Urteil schließt; gegen das Bußgeldurteil ist - unter bestimmten Voraussetzungen - die Rechtsbeschwerde (quasi die Revision im Bußgeldverfahren) zum Oberlandesgericht möglich. Eine - der Berufung entsprechende - zweite Tatsacheninstanz gibt es nicht. Das Verfahren ist mithin im Vergleich zum Strafverfahren - entsprechend der geringeren Bedeutung der Sache - vereinfacht und entschlackt; dass gerade in Verkehrssachen dennoch nicht selten ein Aufwand betrieben wird, der in keinem Verhältnis mehr zu der verhängten Sanktion steht, dürfte seinen Grund zum einen in der Bedeutung der Fahrerlaubnis (Fahrverbot!) für die persönliche und vor allem auch berufliche Lebensgestaltung haben und sich zum anderen daraus erklären, dass Rechtsschutzversicherungen bei fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeiten die gesamten entstandenen Kosten auch bei einer Verurteilung zu übernehmen pflegen.

Mit der Vorlage der Akten durch die Verwaltungsbehörde wird die Staatsanwaltschaft zuständig, für die Bußgeldsachen - insbesondere im Straßenverkehr - aber normalerweise reine "Durchläufer" sind. Der alltägliche Personalmangel und die Arbeitsbelastung führen dazu, dass die Staatsanwaltschaft regelhaft auf die Teilnahme an der Hauptverhandlung und auch ansonsten auf Benachrichtigungen pp. verzichtet. Ausnahmen sind selten und betreffen entweder komplizierte Spezialmaterien oder Umfangsverfahren mit Bußgeldern in erheblicher, ggf. in Millionenhöhe; in Routineverfahren wegen Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten pflegt die Staatsanwaltschaft allenfalls dann an Hauptverhandlungen teilzunehmen, wenn aus ihrer Sicht (oder der der Verwaltungsbehörde) die Spruchpraxis des Gerichts - insbesondere was den Umfang von Einstellungen nach § 47 Abs. 2 OWiG betrifft - den Bereich des Vertretbaren verlassen hat.

Nach diesem etwas länger geratenen Exkurs nun zum eigentlichen Thema.

Schnell wie die Feuerwehr

Bei der Mittelbadischen Presse erfährt man in ihrem Portal "Baden online", wie es einem zum Einsatz eilenden Feuerwehrangehörigen vor dem Amtsgericht Offenburg erging: "Keine Milde für geblitzten Feuerwehrmann".

Offenbar befand der 31jährige sich nach einer Alarmierung über Funkmeldeempfänger mit seinem privaten Pkw auf dem Weg zum Feuerwehrgerätehaus und wurde mit einem Geschwindigkeitsmessgerät mit (mindestens) 89 km/h bei erlaubten 50 km/h gemessen. So weit, so alltäglich - die meisten Gemeinden in Deutschland haben, auch wenn das gerne zu Verwunderung führt, keine Berufs-, sondern freiwillige Feuerwehren, deren Angehörige den Feuerwehrdienst neben ihrem Hauptberuf ehrenamtlich versehen, sich aus- und regelmäßig fortbilden und die Einsätze absolvieren, teilweise unterstützt durch hauptamtliche Kräfte. Das bedeutet auch, dass sie zunächst von ihrem Wohn- oder Arbeitsort zum Feuerwehrgerätehaus müssen, um sich dort umzuziehen und mit den Einsatzfahrzeugen auszurücken - und das alles in höchster Eile, denn es kann durchaus um Menschenleben und Minuten (wenn auch selten Sekunden) gehen.

Ob und wenn ja wie sehr sie dabei die Verkehrsregeln übertreten dürfen, wird gerne diskutiert; nach richtiger Ansicht ist auch der Feuerwehrmann im Privatfahrzeug "Feuerwehr" im Sinne des § 35 Abs. 1 StVO und darf auch bei der Anfahrt zum Einsatz Sonderrechte in Anspruch nehmen, ist also von den Vorschriften der StVO befreit (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. 4. 2002, 4 Ss 72/02), muss aber aufgrund der fehlenden Kennzeichnung (keine Warnfarbe, keine Beschriftung, weder Rundumkennleuchte noch Einsatzhorn) seines Fahrzeugs besondere Vorsicht walten lassen.

Rund 90 km/h (vermutlich nach Abzug von 3 km/h Messtoleranz) innerstädtisch sind unter diesem Gesichtspunkt schon ein Wort.

Bußgeld per Strafbefehl

Darum soll es hier aber nicht in erster Linie gehen - vielmehr fördert schon die Berichterstattung doch einigermaßen Erstaunliches zutage. So erfahren wir schon im Teaser nicht nur die Namen der Beteiligten (in der Lokalberichterstattung immer ein wesentlicher Punkt), sondern auch das Ergebnis der Hauptverhandlung:

Weil er bei einer Fahrt zum ehrenamtlichen Feuerwehreinsatz zwei Punkte kassiert hat, zog Marco Dürr vor Gericht. Dort reduzierte Richterin Eva Weckert gestern den Strafbefehl auf einen Punkt.

Tatsächlich? Ein Strafbefehl? Doch wohl kaum, gehört ein Strafbefehl (§ 407 ff. StPO) doch ins Strafverfahren, mag er auch in gewisser Weise einem Bußgeldbescheid ähneln, weil er - auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch den Richter erlassen - ebenfalls in Rechtskraft erwächst, wenn kein Einspruch eingelegt wird. Vielmehr dürfte es sich um einen Bußgeldbescheid handeln. Das ist zwar irgendwie ähnlich, doch ein ganz anderes Verfahren.

Und die Richterin "reduzierte Punkte"? Das werden wir uns noch genauer ansehen müssen.

Eine aufgebaute Laserpistole

Wir erfahren zunächst noch etwas mehr über den zugrundeliegenden Sachverhalt:

Der 31-jährige Kfz-Meister war am 6. Mai 2015 auf der Kinzigstraße unterwegs zu einem Feuerwehreinsatz, als er um 14.30 Uhr die städtische Laserpistole passierte. Das Gerät der modernsten Generation maß eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 39 Stundenkilometern.
[...]
Auf der geraden Strecke entlang dem Kinzigdamm fuhr er dann 89 statt der innerorts vorgeschriebenen 50 Stundenkilometer.
[...]
Als Zeuge geladen war Stadtsheriff Norbert Kudlik, der die Laserpistole an diesem Tag für rund eineinhalb Stunden bei der Brücke aufgebaut hatte. Einzelheiten – beispielsweise, ob zur fraglichen Uhrzeit Gegenverkehr kam oder nicht – konnte er nicht sagen: »Ich sehe erst hinterher bei der Auswertung den Messraum«, so Kudlik.

Auch hier erscheint der Bericht nicht von überflüssiger Sachkenntnis getrübt.

Zwar gibt es durchaus auf Lasertechnik basierende Handmessgeräte ("Laserpistolen"), doch werden diese in der Regel nicht "aufgebaut", und vor allem verfügen die meisten Geräte über keine Aufzeichnung - und selbst wenn sie eine solche haben, muss der Bediener, der das zu messende Fahrzeug anvisiert, selbstverständlich den Verkehr im Blick haben, schon damit er sicher sein kann, das richtige Fahrzeug zu erfassen. Und eine nachfolgende Auswertung findet dann nicht statt.

Anders liegt der Fall freilich bei stationären oder mobilen "Blitzern", die (per Radar, Laser, Lichtsensoren oder Kontaktschwellen) selbsttätig messen und bei Überschreitung der Auslöseschwelle Lichtbilder des gemessenen Fahrzeuges anfertigen. Diese werden dann tatsächlich erst später ausgewertet.

Der Bußgeldkatalog

Kommen wir zu den Rechtsfolgen:

[Der Verteidiger, Rechtsanwalt] Stein plädierte dafür, das Verfahren entweder einzustellen oder das Bußgeld auf 55 Euro zu reduzieren; dadurch würden dann auch die Punkte wegfallen. Die seien für Dürr nämlich das Entscheidende.

Die möglichst einheitliche Ahndung von Massenverstößen im Straßenverkehr soll der Bußgeldkatalog sicherstellen. Die Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) enthält für (fast) jeden in Betracht kommenden Verkehrsverstoß eine Regelgeldbuße und ggf. auch ein Regelfahrverbot, die zur Anwendung kommen sollen, wenn der Verstoß durch einen Ersttäter fahrlässig begangen wurde und keine besonderen Umstände eine Schärfung oder Milderung erfordern. Vorsatz oder Vorahndungen führen in der Regel zu einer Erhöhung des Bußgelds.

Der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV können wir in der Tabelle 1 im Anhang zu Nr. 11 unter c) entnehmen, dass für eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 39 km/h (Nr. 11.3.6) innerorts ein Regelbußgeld von 160,- € und ein Fahrverbot von einem Monat vorgesehen sind. Wie sich das mit dem Zeitungsbericht - der nur von 80,- € spricht und ein Fahrverbot nie erwähnt - in Einklang bringen lässt, ist mir nicht ersichtlich. Hätte sich das Geschehen außerorts zugetragen, entfiele zwar das Fahrverbot, aber das Bußgeld betrüge immer noch 120,- €. Auf 80,- € Bußgeld kämen wir bei einer Überschreitung von nur 26-30 km/h außerorts oder bei höchstens 25 km/h zuviel innerorts. Ein Rätsel - und eine Absenkung des Bußgelds aufgrund besonders schlechter Einkommensverhältnisse drängt sich bei einem Kfz-Meister auch nicht auf. Möglicherweise hat die Verwaltungsbehörde im Bußgeldbescheid aber die besonderen Umstände (Feuerwehrangehöriger auf der Fahrt zum Einsatz) berücksichtigt und daher das Bußgeld abgesenkt und von einem Fahrverbot abgesehen.

Punkte (in Flensburg)

Und warum die 80 Euro mit zwei Punkten belegt seien, war für ihn auch nicht ersichtlich.

Nun, was hat es mit den "Punkten" auf sich?

Neben dem Fahrverbot - das sowohl als Nebenfolge im Bußgeldverfahren als auch als Nebenstrafe im Strafverfahren verhängt werden kann und das Führen aller (!) Kraftfahrzeuge, auch der fahrerlaubnisfreien, für einen gewissen Zeitraum verbietet - gibt es auch noch die Möglichkeit, die Fahrerlaubnis zu entziehen, sei es durch Strafurteil, sei es unabhängig davon durch Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde. Letztere wird entweder anlassbezogen tätig - insbesondere bei Alkohol- oder Drogenkonsum - und verlangt dann ein ärztliches Gutachten oder eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU, im Volksmund als "Idiotentest" verschrieen) oder dann aktiv, wenn eine bestimmte Anzahl von "Punkten" gesammelt wurde.

Diese Punkte verdient der Kraftfahrer sich durch Verurteilungen wegen Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten im Straßenverkehr, die früher ins Verkehrszentralregister (VZR) und mittlerweile, nach der "Punktereform" 2014, ins Fahrereignisregister (FAER) eingetragen werden, das das in Flensburg ansässige Kraftfahrt-Bundesamt führt. Zur Speicherung kommt es dann, wenn ein Betroffener rechtskräftig zu einem Bußgeld von mindestens 60,- € verurteilt oder ein Fahrverbot verhängt wurde (§ 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG); Änderungen der Bußgeldhöhe aufgrund der persönlichen Verhältnisse bleiben außer Betracht. Ein Eintrag erfolgt aber nur dann, wenn die Anlage 13 zu § 40 FeV dies anordnet; dort ergibt sich auch, mit wie vielen Punkten ein Verstoß "bewertet" wird. Der Nummer 2.2.3 können wir entnehmen, dass eine Geschwindigkeitsüberschreitung nach Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 im Anhang zur BKatV (nur) bei Begehungsweise innerorts mit zwei Punkten bewertet wird.

Das passt also zu der Geschwindigkeitsüberschreitung von 39 km/h - aber nicht zu einem Bußgeld von 80,- € und einem Absehen vom Fahrverbot ...

Eine salomonische Entscheidung?

Und wie hat nun das Gericht entschieden?

Richterin Weckert zog sich zunächst zur Beratung mit der Staatsanwaltschaft zurück, die einer Einstellung des Verfahrens allerdings genauso wenig zustimmen konnte wie sie selbst.

Wunder über Wunder - die Staatsanwaltschaft ist in einer Verkehrsbußgeldsache in der Hauptverhandlung vertreten?

Weckert blieb in ihrem Urteil beim Bußgeldbetrag von 80 Euro, reduzierte aber auf den dazugehörigen einen Punkt im Strafregister. Ein milderes Urteil oder gar eine Einstellung seien nicht verhältnismäßig.

Wenn wir mal davon absehen, dass das "Strafregister" wohl das Fahrereignisregister sein dürfte, mag die Berichterstattung hier sogar richtig sein - dann befand sich aber die Richterin auf dem Holzweg.

Denn Punkte werden nicht nur das Gericht im Urteil - oder die Verwaltungsbehörde im Bußgeldbescheid - "verhängt"; vielmehr bewertet das Kraftfahrzeugbundesamt die ihm mitgeteilten Entscheidungen entsprechend. Und wenn der Tatvorwurf "39 km/h zu schnell innerorts" lautet und das Bußgeld mindestens 60,- € beträgt, so dass ein Eintrag ins FAER erfolgt, dann werden dort auch zwingend zwei Punkte eingetragen, weil die Anlage 13 zu § 40 FeV auf den Tatvorwurf, nicht aber auf die Sanktion abstellt.

Mit dieser Frage hatte sich übrigens bereits 2008 das OLG Hamm zu befassen (OLG Hamm, Beschluss vom 27.11.2008, 2 Ss OWi 803/08).

Fazit

Irgendetwas passt hier also nicht zusammen - entweder war die Geschwindigkeit eine andere, geringere; dann war die Bewertung mit zwei Punkten falsch. Oder die Geschwindigkeit stimmte und das Bußgeld bzw. das (fehlende) Fahrverbot waren Folge einer Abweichung von der BKatV zugunsten des Betroffenen; dann aber wird es bei den zwei Punkten bleiben müssen.

Vielleicht lag aber der Fall am Ende auch noch ganz anders - die Berichterstattung lässt jedenfalls am Ende mehr Fragen offen als sie beantwortet.

Titelbild: Bank Phrom / Unsplash