In der vergangenen Woche wurde - auch in juristischen Blogs - über eine Entscheidung des Landgerichts Darmstadt berichtet, mit der eine Durchsuchung bei der Regionalzeitung “Darmstädter Echo” auf die Beschwerde der Zeitung hin (§ 304 Abs. 1-2 StPO) für rechtswidrig erklärt worden sei.
Die Durchsuchungsmaßnahme hatte das Ziel, die Identität eines anonymen Kommentators im Onlineforum der Zeitung aufzudecken, gegen den wegen des Vorwurfs der Beleidigung ermittelt wurde, nachdem die Redaktion der Zeitung sich nach polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Auskunftsersuchen geweigert hatte, die ihr zu dem Nutzer vorliegenden Informationen zu übermitteln. Dabei handelt es sich bereits um den zweiten Fall, in dem eine solche Fallkonstellation öffentliches Aufsehen erregte. Schon zu Beginn des Jahres 2013 hatte die Staatsanwaltschaft Augsburg bei der Online-Redaktion der “Augsburger Allgemeinen” ebenfalls die Daten eines Nutzers beschlagnahmen lassen.
Beiden Fällen ist gemein, dass die betreffenden Zeitungen einwandten, die Daten unterlägen dem Schutz des Presserechts, und dass die jeweils zuständigen Landgerichte auf die Beschwerden der Zeitungen hin die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsmaßnahmen festgestellt haben - in beiden Fällen aber aus anderen Gründen des jeweiligen Einzelfalls und gerade nicht wegen einer generellen Unzulässigkeit der Durchsuchung von Redaktionsräumen zur Identifizierung von Forennutzern. Im Augsburger Fall lag nach Auffassung des Landgerichts Augsburg schon gar keine Beleidigung vor; im Darmstädter Fall fehlte es offenbar an einem formgerechten Strafantrag des Geschädigten, überdies wurde die richterliche Prüfung des staatsanwaltschaftlichen Antrags bemängelt.
Pressefreiheit für Forennutzer?
Beide Entscheidungen erscheinen mir auch, jedenfalls soweit der besondere Schutz des Presserechts verneint wird, zutreffend.
Im Gegensatz zu der Auffassung des Kollegen Stadler halte ich das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 5 StPO auch unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung[1] nicht für einschlägig. Zwar ist es zutreffend, dass auch anonyme Leserbriefe oder sonstige Zuschriften grundsätzlich dem Informantenschutz unterfallen;[2] dies gilt aber nur, soweit diese als Leserbrief veröffentlicht oder im redaktionellen Teil der Zeitung verarbeitet werden. Beiträge in unmoderierten Onlineforen sind aber gerade nicht redaktionell bearbeitet; vielmehr stellt das jeweilige Medienunternehmen seinen Lesern einen Raum zur unkontrollierten Veröffentlichung eigener Beiträge, die allenfalls einer nachträglichen Kontrolle unterzogen werden, zur Verfügung. Die Äußerungen kommen der (Online-)Redaktion bestenfalls gleichzeitig mit den übrigen Lesern zur Kenntnis; es handelt sich insofern auch nicht um Mitteilungen eines “Informanten” an einen Journalisten.
Die dem besonderen presserechtlichen Schutz unterliegenden Beziehungen zwischen einem “Informanten” und einem Journalisten sind nämlich dadurch gekennzeichnet, dass der erstgenannte dem letztgenannten Informationen liefert, die dieser - nach entsprechender Prüfung - zur Grundlage seiner journalistischen Arbeit macht, für die er - und der Herausgeber - die presserechtliche Verantwortung tragen. Eine solche Verantwortung tragen die Anbieter eines Onlineforums aber gerade nicht, eben weil die Beiträge dort unbearbeitet und unkontrolliert veröffentlicht werden, ganz gleich, ob es sich dabei um ein Forum einer Zeitung oder eines anderen Medienunternehmens handelt, das die redaktionelle Berichterstattung ergänzt oder nicht. Ihnen kommt vielmehr das Haftungsprivileg aus § 10 Abs. 1 TMG zugute, das sie nur zu nachträglichen Maßnahmen verpflichtet und ansonsten aus der Haftung entlässt. Ein Forenbeitrag kann aber nicht gleichzeitig am Schutz des Inhaltes eines - von der Redaktion und dem Herausgeber verantworteten - Mediums teilnehmen und andererseits aufgrund der fehlenden Kenntnis von den Inhalten vor ihrer Veröffentlichung gerade nicht der Verantwortung von Redaktion und Herausgeber unterliegen.
Insofern unterscheiden sich Forenbeiträge typischerweise nicht nur von redaktionellen Beiträgen im engeren Sinne, sondern auch von Leserbriefen, Anzeigen und Kleinanzeigen, die bereits Gegenstand verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung waren. Alle diese werden nämlich durch eine bewusste Handlung eines Verantwortlichen abgedruckt. Dies führt zur Haftung, aber auch zum presserechtlichen Schutz. Forenbeiträge unterliegen umgekehrt - bis zur Kenntnisnahme - nicht der Verantwortung des jeweiligen Medienunternehmens, genießen folgerichtig aber auch keinen “Informantenschutz”. Beides - keine Haftung des Medienunternehmens, aber presserechtlicher Schutz des Kommentators - geht nicht gleichzeitig.
Das Landgericht Augsburg[3] hat diese Rechtslage in zutreffender Weise folgendermaßen zusammengefasst:
Eine Beschlagnahmefreiheit der im Beschluss genannten Daten gem. § 97 Abs. 5 S. 1 StPO besteht nicht, da der Beschwerdeführerin kein Zeugnisverweigerungsrecht gem. §§ 160 a Abs. 2, 53 Abs. 1 S.1 Nr. 5 StPO zusteht. Zwar unterfällt die Beschwerdeführerin als Herausgeberin einer Zeitung grundsätzlich dem Schutzbereich des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO. Jedoch ist dieser Schutzbereich gemäß § 53 Abs. 1 S. 3 StPO nur dann eröffnet, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialen für den redaktionellen Teil oder redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste handelt. Zwar sind in einer Zeitung gedruckte Leserbriefe nach ständiger Rechtsprechung dem redaktionellen Bereich zuzuordnen (BVerfG 36, 193, 204).
Dies gilt aber nicht für Beiträge von Nutzern in einem Onlineforum. Eine redaktionelle Überarbeitung, die die Zuordnung von Leserbriefen zum redaktionellen Bereich einer Zeitung begründet, findet in den Fällen der Einstellung eines Beitrags in ein Onlineforum gerade nicht statt. Vielmehr erfolgt die Einstellung eines solchen Beitrags durch den Nutzer selbst, ohne dass eine Überarbeitung durch die Redaktion oder eine Prüfung der Einträge vor Veröffentlichung erfolgt. Eine vom Gesetz gem. § 53 Abs. 1 S. 3 StPO geforderte "Aufbereitung" der Onlinebeiträge findet daher gerade nicht statt.
Dies zeigt sich im vorliegenden Fall auch darin, dass der gegenständliche Beitrag erst nach einem Hinweis des Anzeigeerstatters inhaltlich geprüft und gelöscht wurde. Hätte eine redaktionelle Kontrolle stattgefunden, wäre diese inhaltliche Kontrolle bereits vor der Veröffentlichung erfolgt.
Bestätigt wird diese Ansicht auch durch § 7 Abs. 2 TMG, der Diensteanbieter wie die Beschwerdeführerin in ihrer Haftung privilegiert, mit der Folge, dass diese nicht verpflichtet sind, die von ihnen übermittelten und gespeicherten Informationen in Foren zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.
Weiterhin sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Durchsuchungen bei Presseangehörigen, die dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln, unzulässig (BVerfG NJW 2007, 1117).
Jedoch ist ein Nutzer, der einen Forumsbeitrag veröffentlicht, kein "Informant" im Sinne dieser Rechtsprechung, denn er arbeitet keinem redaktionell tätigen Pressemitarbeiter zu. Somit wird der verfassungsrechtlich geschützte Schutzbereich des Redaktionsgeheimnisses nicht berührt.
Weiterhin liegt kein Vertrauen des Nutzers des Internetforums dahingehend vor, dass sein Eintrag vertraulich behandelt werden wird. Aus den Nutzungsbedingungen des Forums ergibt sich, dass der Nutzer eigenverantwortlich für die Beiträge ist und die Beschwerdeführerin keine Verantwortung übernimmt.
So heißt es in den Nutzungsbedingungen der Beschwerdeführerin:
"7.1. Der Nutzer ist für die von ihm eingestellten Beiträge allein verantwortlich. Die Betreiberin vermittelt lediglich den Zugang zu diesen Beiträgen.
(…)
9.1. Die Betreiberin erklärt ausdrücklich, dass es sich bei den im Forum veröffentlichten Beiträgen nicht um eigene Beiträge handelt, sie sich den Inhalt einzelner Beiträge nicht zu eigen macht und sich vom Inhalt der Beiträge distanziert."Insgesamt ist daher festzustellen, dass für die Beiträge im Forum der Beschwerdeführerin eine Beschlagnahmefreiheit gem. § 97 Abs. 5 S. 1 StPO nicht besteht, da der Anwendungsbereich der Pressefreiheit gem. §§ 160 a Abs. 2, 53 Abs. 1 S.1 Nr. 5 StPO nicht eröffnet ist und der angegriffene Beschluss daher insgesamt formell rechtmäßig ist.
Dem bleibt wenig hinzuzufügen.
Andere Rechtsfragen
Ob hingegen das Landgericht Augsburg auch in seiner materiellen Bewertung - dass nämlich die Äußerung "Dieser X… verbietet sogar erwachsenen Männern ihr Feierabendbier ab 20.00 Uhr indem er geltendes Recht beugt und Betreiber massiv bedroht!", die immerhin den Vorwurf erheblicher Straftaten beinhaltet, als wenn auch "scharfe und übersteigerte Äußerung[en] als Ausdruck der Meinungsfreiheit geschützt" sei - notwendigerweise richtig liegt, erscheint mir allerdings jedenfalls diskutabel.
Gleichermaßen wirken die Ausführungen des Landgerichts Darmstadt zum Umfang der ermittlungsrichterlichen Prüfung des staatsanwaltschaftlichen Antrags ungewöhnlich, die das “Darmstädter Echo” folgendermaßen wiedergibt:
Insbesondere habe die Durchsuchungsanordnung nicht erkennen lassen, ob überhaupt eine eigene inhaltliche Prüfung seitens des unterzeichnenden Ermittlungsrichter stattgefunden habe. Vielmehr zeige der Antrag, dass Angaben der Staatsanwaltschaft schlicht in die Anordnung “verklammert”, also hineinkopiert wurden. Der richterliche Beschluss “gibt in unkommentierter Weise eine Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft wieder, wobei selbst ein Zusatz, dass sich das Gericht dem anschließt, fehlt”, so das Landgericht.
Dass der staatsanwaltschaftliche Antrag, so ihm denn stattgegeben werden soll, unverändert in die Beschlussgründe übernommen wird, entspricht aber nicht nur einer weitverbreiteten Praxis, sondern ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich.[4] Richtigerweise, muss man sagen, weil die unveränderte Übernahme eines Antrags ebenso wenig ein Beleg dafür ist, dass der Richter ihn nicht ausreichend geprüft oder gar ungelesen unterschrieben hat, wie das Abschreiben und Umformulieren des Antrags das Gegenteil - nämlich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Materie - belegen kann. Letzteres ließ sich bekanntlich in den vergangenen Monaten u.a. am Beispiel etlicher Dissertationen verfolgen. Einem zutreffend formulierten, wohlabgewogenen Antrag kann der Ermittlungsrichter auch schlicht beitreten, ohne ihn noch einmal abzuschreiben; nicht anders handelt bspw. der BGH mit den Zuschriften des Generalbundesanwalts, wenn er sie ab und an in seine Revisionsentscheidungen einrückt.
Insofern müsste im Darmstädter Fall also eine außergewöhnliche Fallgestaltung vorliegen, so dass es sich sicherlich auch deshalb lohnt, gespannt auf eine Veröffentlichung des Beschlusses[5] zu warten.
Zivilrechtliche Rechtslage
Abschließend sei noch ein kurzer Blick auf die Rechtslage bei vergleichbaren zivilrechtlichen Fallgestaltungen erlaubt.
Bereits 2006 hatte das Kammergericht über die Frage zu entscheiden, ob eine Schauspielerin, von der mehrfach Nacktbild-Fotomontagen online gestellt worden waren, neben Unterlassung von dem betreffenden Webspace-Provider auch Auskunft über seinen Kunden verlangen kann, um diesen dann in Anspruch zu nehmen. Das Landgericht Berlin hatte einen solchen Anspruch aus § 242 BGB (Treu und Glauben) noch bejaht; in der Berufungsentscheidung hob das Kammergericht die Vorinstanz insoweit auf, weil das (damals noch in Kraft befindliche) TDDSG eine solche Auskunft verbiete.[6]
Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung[7] - der bewusst wahrheitswidrige negative Äußerungen über einen Arzt in einem Bewertungsportal zugrunde lagen - für die heutige Rechtslage bestätigt. Demnach besteht ein zivilrechtlicher Auskunftsanspruch des Geschädigten einer Persönlichkeitsrechtsverletzung gegen einen Foren- oder Portalanbieter hinsichtlich der dort vorhandenen Nutzerdaten nicht; eine solche Übermittlung von Nutzerdaten ist vielmehr aufgrund von § 12 Abs. 2 TMG ausgeschlossen. Die anderslautenden Entscheidungen der Vorinstanten (OLG Stuttgart, LG Stuttgart) hob der BGH insoweit auf.
Die fehlende innere Schlüssigkeit der derzeitigen Rechtslage, die bei Verletzung von Urheber- bzw. in der Regel wohl richtiger Verwertungsrechten Auskunftsansprüche normiert, solche aber auch bei schweren Verletzungen von Persönlichkeitsrechten verwehrt, ist dem BGH dabei wohl bewusst; er sieht allerdings - zu Recht - den Gesetzgeber in der Pflicht:[8]
Die Beschränkung der Ermächtigung zur Auskunftserteilung auf Inhaber von Rechten am geistigen Eigentum mag zwar wenig nachvollziehbar […] und eine Ausweitung auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen - in Anlehnung an § 14 Abs. 2 TMG in Verbindung mit § 101 UrhG, § 19 MarkenG und § 140b PatG - wünschenswert sein […] ). Eine solche Regelung müsste jedoch der Gesetzgeber treffen.
Es bleibt tatsächlich zu hoffen, dass es dem Gesetzgeber zukünftig irgendwann einmal gelingen wird, die berechtigten Interessen aller Beteiligten - nicht nur der Anbieter und der (anonym auftretenden) Nutzer, sondern auch der oft ganz unbeteiligten Geschädigten, deren Persönlichkeitsrechte verletzt werden - in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Bisher war das leider nie wirklich befriediggend der Fall.
Titelbild: Thomas Lefebvre / Unsplash
Vgl. dazu insb. die Cicero-Entscheidung: BVerfG, Urteil vom 27.02.2007 - 1 BvR 538/06, 1 BvR 2045/06 -. ↩︎
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.8.2000 - 1 BvR 77/96 -. ↩︎
LG Ausgburg, Beschluss vom 19.03.2013 - 1 Qs 151/13 -. ↩︎
Dazu BVerfG, Beschluss vom 17. 3. 2009 - 2 BvR 1940/05 -; vgl. dazu auch Bruns in KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 105 Rn. 2, und Hadamitzky in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 1. Aufl. 2014, § 105 Rn. 3. ↩︎
LG Darmstadt, Beschluss vom 21.08.2014 – 3 Qs 376/14 -. ↩︎
KG Berlin, Urteil vom 25.09.2006 - 10 U 262/05 -. ↩︎
BGH, Urteil vom 01.07.2014 - VI ZR 345/13 -. ↩︎
BGH, a.a.O. ↩︎