Die Gesetzgebungsmaschinerie der Bundesregierung beschäftigt sich dieser Tage erneut mit einer Reform - richtiger: einer Verschärfung - des Sexualstrafrechts.

Der nunmehr veröffentlichte Entwurf eines "Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht" soll u.a. der Umsetzung des "Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch", der sog. "Lanzarote-Konvention", des "Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt", der sog. "Istanbul-Konvention", und der Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornographie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates dienen und umfasst darüber hinaus eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, so bspw.

  • den Versuch, bislang nicht als kinderpornographische Schriften strafbare sog. "Posing"-Bilder strafrechtlich zu erfassen,
  • erweiterte und harmonisierte Regelungen über Herstellung und Verbreitung kinderpornographischer Schriften,
  • eine Erweiterung der Vorschriften über den Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB), durch die Strafbarkeitslücken bei Lehrern oder Erziehern ohne direkten (Unterrichts-)Kontakt[1] sowie bei Erwachsenen in "Patchwork"-Familien, die keine Eltern oder Stiefeltern sind, geschlossen werden sollen,
  • eine nur indirekt dazu in Bezug stehende Erweiterung des Verbots der Herstellung von Bildaufnahmen in § 201a StGB, und
  • eine erneute und erweiterte Verlängerung von Verjährungsfristen[2].

Insbesondere[3] letzteres erscheint mir vor allem praktisch, aber auch aus rechtsstaatlicher Sicht höchst problematisch.

Grundlagen der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung

Kern des dem Verjährungrecht zugrundeliegenden Rechtsgedankens ist die Schaffung von Rechtsfrieden. Je weiter eine strafbare Handlung in der Vergangenheit liegt, desto geringer ist das Bedürfnis nach einem "gerechtem Schuldausgleich", desto weniger Bedarf besteht noch an Spezial- oder Generalprävention oder Resozialisierung eines möglicherweise bereits lange resozialisierten Täters.[4] Daneben soll die Drohung der Verjährung der beschleunigten Bearbeitung des Verfahrens dienen; schließlich werden auf diese Weise auch die mit dem Lauf der Zeit einhergehenden Beweisschwierigkeiten berücksichtigt.[5]

Angesichts dieses Regelungszwecks ergibt sich zugleich, dass die Länge der Verjährungsfrist einen Bezug zu der - sinnvollerweise nur abstrakt bestimmbaren - Schwere der Tat haben muss.[6] Der Praktikabilität und den berechtigten Belangen einer effektiven Strafverfolgung insbesondere bei vergleichsweise kurzen Verjährungsfristen dienen die umfangreichen Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung in § 78c StGB; Sonderfälle berücksichtigt § 78b StGB, der anordnet, dass in bestimmten Konstellationen die Verjährung ruht, also die Frist nicht weiterläuft.

Die Verjährung bei Sexualstraftaten

De lege lata

Zu diesen Sonderfällen gehören auch Sexualstraftaten an Minderjährigen, für die § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB (derzeit) vorsieht, dass die Verjährung erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres des Opfers beginnt. Das ist sinnvoll; Sexualstraftaten finden häufig im sozialen Nahbereich statt, in der Familie, in Institutionen wie Schulen, Kirchen oder Vereinen, in denen Minderjährige sich in einer Abhängigkeitssituation befinden, so dass sie ihre Rechte zunächst nicht geltend machen können, bevor sie in der Lage sind, sich daraus zu lösen. Die Hemmung der Verjährung bis zu ihrer Volljährigkeit - so die ursprüngliche Regelung - bzw. bis zum 21. Lebensjahr, mit dem auch nach dem Strafrecht das Erwachsenenalter beginnt - so die Regelung nach dem StORMG[7] - erscheint geboten, damit sie im Verlauf der dann folgenden 5, 10 oder 20 Jahre[8] Gelegenheit haben, Strafanzeige zu erstatten und danach die notwendigen Ermittlungen durchgeführt werden können. Auch die Anknüpfung an das Alter von 18 oder 21 Jahren - Volljährigkeit bzw. volle strafrechtliche Verantwortlichkeit - erscheint sinnvoll und nachvollziehbar.

De lege ferenda

Nunmehr soll der Lauf der Verjährung jedoch erst mit Vollendung des 30. (!) Lebensjahres beginnen; außerdem wird das Ruhen der Verjährung auf weitere Straftaten ausgedehnt, nämlich auf die Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger unter Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses nach § 180 Abs. 3 StGB, den sexuellen Missbrauch von Jugendlichen nach § 182 StGB und die Zwangsheirat nach § 237 StGB.

Die Erweiterung der Ruhensanordnung auf die genannten weiteren Straftaten ist wohl unstreitig sinnvoll oder zumindest konsequent; für die in der kryptischen Anordnung

In § 78b Absatz 1 Nummer 1 [wird] die Angabe "21." durch die Angabe "30." [...] ersetzt.

versteckte Verlängerung des Ruhenszeitraum um nahezu die Hälfte gilt das jedoch nicht.

Der Gesetzgeber begründet dies wie folgt:

Zudem soll die Altersgrenze des § 78b Absatz 1 Nummer 1 StGB auf die Vollendung des 30. Lebensjahrs des Opfers angehoben werden. Sie wurde durch das insoweit am 30. Juni 2013 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG, [...]) vom 18. auf das 21. Lebensjahr des Opfers erhöht. Diese Ausdehnung um lediglich drei Jahre erscheint aber nicht weitgehend genug, um den Opfern von sexuellem Missbrauch eine hinreichend lange Zeit für die Verarbeitung des Erlebten und für die Entscheidung zu geben, ob sie eine Strafanzeige erstatten wollen. Nicht wenige Opfer sind nämlich erst nach vielen Jahren oder gar Jahrzehnten – ggf. erst nach einer Therapie oder zumindest einem vollständigen Lösen aus einem Abhängigkeitsverhältnis zum Täter – in der Lage, über das Geschehene zu sprechen und gegen den Täter vorzugehen [...]. Diese Verlängerung empfiehlt auch der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs [...].

Diese Argumentation überzeugt in vielerlei Hinsicht nicht.

Schon die Wahl des 30. Lebensjahres erscheint kaum nachvollziehbar und wird auch nicht begründet; warum nicht bis zum 25. Lebensjahr, bis zum 40. Lebensjahr - oder warum nicht die Verjährung für Sexualstraftaten insgesamt aufheben?

Auch das Argument, vor der Anzeigeerstattung müsse ggf. erst eine Lösung aus dem Abhängigkeitsverhältnis erfolgen, überzeugt nicht - denn diese Argument trifft auch für viele andere Straftaten wie Misshandlungen im sozialen Nahbereich oder auch Nötigungen und Erpressungen in durch Gewalt und Machtmissbrauch geprägten Verhältnissen (sei es in Familien, Firmen oder kriminellen Organisationen) zu. Auch die misshandelte Ehefrau, auch das Opfer einer Schutzgelderpressung braucht oft Zeit, um sich zu einer Anzeige durchzuringen; dennoch sind Straftaten nach §§ 223, 224, 240, 249, 253, 255 StGB nicht vom Ruhen der Verjährung betroffen. Auch bleibt unbegründet, warum ein 25jähriges Opfer einer Sexualstraftat möglicherweise 5 zusätzliche Jahre braucht, um sich zu einer Anzeige durchzuringen, ein 30jähriges oder 35jähriges Opfer aber nicht.

Neben diesen argumentativen Lücken gilt es aber vor allem die praktischen Folgen dieser Regelung gerade für schwere Straftaten, also Verbrechen, zu bedenken, die der Gesetzgeber völlig zutreffend selbst so darstellt:

Die zudem vorgeschlagene Erhöhung der Altersangabe in § 78b Absatz 1 Nummer 1 StGB-E bewirkt, dass die Verjährung nicht mehr nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs, sondern bis zur Vollendung des 30. Lebensjahrs des Opfers ruht. Schwere Sexualdelikte (z. B. der schwere Missbrauch von Kindern nach § 176a StGB) können daher frühestens mit Vollendung des 50. Lebensjahrs des Opfers verjähren, wobei sich diese Frist durch zahlreiche Unterbrechungshandlungen gemäß § 78c StGB – etwa durch die Anordnung der ersten Vernehmung des Beschuldigten – sogar bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres des Opfers verlängern kann.

Nicht nur, dass sich hier Wertungswidersprüche aufdrängen - die Tötung eines 15jährigen verjährt nach 20 Jahren, das sexuell motivierte Einführen des Fingers in seinen After aber erst nach 35 Jahren -; es genügt vor allem für eine erfolgreiche Strafverfolgung nicht, nur den Eintritt der Verjährung hinauszuschieben. Die Erfahrung zeigt, dass die Aufklärung einer Tat mit der verstreichenden Zeit immer schwieriger wird; die Erinnerung von Zeugen verblasst, Sachbeweismittel gehen verloren. Selbst dann, wenn bei einer bereits bekannten Tat der auf der Flucht befindliche Täter erst nach 10, 15 oder 20 Jahren ergriffen bzw. ein Täter bspw. durch DNA-Untersuchungen erst nach dieser langen Zeit ermittelt wird, sind die praktischen Probleme schon jetzt erheblich. Diese beginnen nämlich schon damit, die damaligen Zeugen wiederzufinden und noch zuvor - ganz pragmatisch - mit der Frage, ob diese Zeugen überhaupt noch am Leben sind. Dann sind von Vernehmungen dieser Zeugen in der Hauptverhandlung realistisch keine Ergebnisse zu erwarten, die über die Bestätigung des Vorhalts der polizeilichen Vernehmungen als zutreffend hinausgehen; der Beweiswert ist insofern alles andere als optimal. Letztlich lassen sich auf diese Weise nur jahrzehntealte polizeiliche Ermittlungsergebnisse zementieren, die hoffentlich richtig waren - oder es muss ein Freispruch in dubio pro reo erfolgen.

Nun kommt hinzu, dass Sexualstraftaten regelmäßig davon gekennzeichnet sind, dass Aussage gegen Aussage steht; das verbessert die Beweislage ohnehin nicht, insbesondere nicht, wenn das Opfer die Taten in sehr jungem Alter erleiden musste. Noch schwieriger wird die Beweiswürdigung, wenn seit dem Tatgeschehen zudem noch viel Zeit verstrichen ist und eine 20jährige oder 30jährige über Geschehnisse sprechen muss, die sie mit 8 oder 12 Jahren erlebt hat. Es ist kaum anzunehmen, dass sich die Beweislage verbessert, wenn nunmehr im Zweifel eine 49jährige über das zu vernehmen ist, was sie mit 5 oder 15 Jahren erlebt hat. Ob die Tatsache, dass diese Erinnerungen erst nach einer Therapie zugänglich geworden sind - auch dies ja ein Argument des Gesetzgebers für die faktische Verlängerung der Verjährungsfrist -, die Bewertung solcher Aussagen erleichtert, erscheint mir doch höchst zweifelhaft.[9]

Die Folge eines noch weiteren Hinausschiebens der Strafverfolgung kann gerade in solchen Fällen kaum etwas anderes als die Verurteilung auf einer sehr schwierigen Tatsachengrundlage mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von Fehlurteilen oder der Freispruch nach dem Zweifelsgrundsatz sein. Ob insbesondere letzteres, oft empfunden als "man glaubt mir nicht", für die Opfer von Sexualstraftaten günstiger ist als der Eintritt der Verjährung, möchte ich bezweifeln. Ich fürchte eher, hier gibt man den Geschädigten sprichwörtlich Steine statt Brot.

Folgen der geplanten Verlängerung des Ruhens der Verjährung

Die geplante Verlängerung der Verjährungsfrist - bzw. des Ruhenszeitraums - um weitere 9 Jahre erscheint mir daher aus praktischen Gründen völlig ungeeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen, wobei ich auch dieses Ziel für inkonsequent und nicht ausreichend begründbar halte.

Sie wird - neben zusätzlichem Aufwand für die Strafverfolgungsbehörden, der zu weiteren Einschränkungen bei der Strafverfolgung in diesen Bereichen führen wird, weil den zu erwartenden zusätzlichen, oft komplizierten Verfahren aller Voraussicht nach weder personelle noch finanzielle Aufstockungen gegenüberstehen werden - daher zu Enttäuschungen und überdies kaum nachvollziehbaren Wertungswidersprüchen führen.

Es steht zu hoffen - ist erfahrungsgemäß aber nicht zu erwarten -, dass der Gesetzgeber sich im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens insoweit noch eines besseren besinnen wird.

Titelbild: © Beggert / pixelio.de


  1. Vgl. dazu bspw. OLG Koblenz, Beschluss vom 17.03.2014 - 1 Ws 56/14 -; BGH, Beschluss vom 25.04.2012 - 4 StR 74/12 - und nachfolgend im zweiten Durchgang dann BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 4 StR 503/13 -. ↩︎

  2. Bezüglich der Verfolgungsverjährung, die im Strafrecht von der Vollstreckungsverjährung zu unterscheiden ist. ↩︎

  3. Ein genereller Verriss des Entwurfs findet sich bspw. in der Strafakte vom 18.09.2014: "Kosmetik für die geistige Unterschicht ". Dort finden sich auch weitere Kommentare von Prof. Dr. Monika Frommel und He­ri­bert Prantl verlinkt. ↩︎

  4. So bspw. Dallmeyer in BeckOK-StGB, Edition 24, Stand 01.07.2014, § 78 Rn. 2. ↩︎

  5. Siehe zu diesen Gesichtspunkten bspw. Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl. 2014, § 78 Rn. 5. ↩︎

  6. Dies liegt ersichtlich auch der an der jeweiligen Höchststrafe orientierten Regelung des § 78 StGB zugrunde, mit der durch Besonderheiten der deutschen Geschichte erklärbaren Unverjährbarkeit von Mordtaten, die nach mehrmaliger Verlängerung der Verjährungsfrist zur Ermöglichung der weiteren Ahndung nationalsozialistischer Tötungsverbrechen eingeführt wurde. ↩︎

  7. Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs. ↩︎

  8. Diese Fristen können sich durch Verjährungsunterbrechungen bis auf das Doppelte verlängern. ↩︎

  9. Das Stichwort der Erinnerungsverfälschung bzw. der false memories soll hier genügen. ↩︎