Heute fällt der Blick in die Presse auf einen Bericht bei Spiegel Online über eine Personalie in der Berliner Justiz: ein AfD-Politiker, so der Spiegel ursprünglich, ist "Chef-Staatsanwalt" geworden. Mittlerweile wurde die Überschrift korrigiert, denn es gehe bei der Beförderung nicht um den Posten des Generalstaatsanwalts, sondern des Leitenden Oberstaatsanwalts. So dann auch der Anreißer: der Besagte solle "Berlins Leitender Oberstaatsanwalt werden".
Dabei soll es hier nicht um den Inhalt des Artikels und die Personalie gehen; diese mag man aufgrund der politischen Tätigkeit des Bewerbers kritisch sehen oder - unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der "Bestenauslese" (Art. 33 Abs. 2 GG) - auch nicht.
Es sei vielmehr die Frage erlaubt: wer ist Chef der Staatsanwaltschaft? Oder auch: was ist ein "Leitender Oberstaatsanwalt"?
Der Chef der Staatsanwaltschaft
Und auf den ersten Blick muss man dem Online-Spiegel Recht geben: der Behördenleiter - und damit "Chef" - einer Staatsanwaltschaft ist regelmäßig der Leitende Oberstaatsanwalt.
Unter sich hat er Abteilungs- und ggf. über diesen auch noch Hauptabteilungsleiter, die in der Regel Oberstaatsanwälte zu sein pflegen, und die Sachbearbeitung in den einzelnen Dezernaten der Abteilungen nehmen Staatsanwälte (und "Staatsanwälte als Gruppenleiter" bzw. "Erste Staatsanwälte") wahr. In dieses jeweilige Amt werden sie nach einem Bewerbungs- und ggf. Auswahlverfahren durch Aushändigung der Ernennungsurkunde berufen, und mit dem Amt verbunden sind eine Amtsbezeichnung und eine bestimmte Besoldungsgruppe. Das ist für den Staatsanwalt - als Sammelbegriff - nicht anders als für den Polizeibeamten, den beamteten Lehrer oder jeden anderen Beamten in der Kommunal-, Landes- und Bundeverwaltung.
Die Generalstaatsanwaltschaft
Nur: ganz so einfach ist es eben doch nicht. Eine Staatsanwaltschaft gibt es nämlich nicht nur am Landgericht, sondern auch am Oberlandesgericht, und die letztere pflegt man üblicherweise "Generalstaatsanwaltschaft" zu nennen; die Bezeichnung "Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht" hat sich selbst in der öffentlichen Verwaltung weitgehend überlebt.
Die Generalstaatsanwaltschaft nimmt nun nicht nur die Aufgaben einer Staatsanwaltschaft am Oberlandesgericht, das zumeist als Revisionsgericht und nur in seltenen Fällen als erstinstanzliches Strafgericht tätig wird, wahr (und ist damit für "sein" Oberlandesgericht das, was die Behörde des Generalbundesanwalts, die Bundesanwaltschaft, beim Bundesgerichtshof als oberstem Strafgericht des Bundes ist) - sie ist auch vorgesetzte Behörde aller Staatsanwaltschaften des Oberlandesgerichtsbezirks (der in den Stadtstaaten in der Regel mit dem Landgerichtsbezirk identisch ist) und steht damit zwischen der Staatsanwaltschaft und der Landesjustizverwaltung (dem Justizministerium oder - u.a. in Berlin - dem Justizsenator). Ihr kommen insoweit Aufgaben der Dienstaufsicht und zumeist auch der Personal- und ggf. Haushaltsverwaltung zu; zudem werden regelmäßig verschiedene Zentralstellen mit besonderen Aufgaben eingerichtet. Außerdem kann der Generalstaatsanwalt nicht nur innerhalb seiner Behörde und den Leitern der nachgeordneten Staatsanwaltschaften, ja auch deren einzelnen Dezernenten Weisungen erteilen, sondern auch in jedem Einzelfall die Bearbeitung eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens einer anderen Staatsanwaltschaft seines Bezirks (oder gar einem bestimmten Staatsanwalt - als Sammelbegriff) zuweisen, § 145 Abs. 1 GVG. Schließlich hat die Generalstaatsanwaltschaft originäre Aufgaben insbesondere im Bereich der Auslieferungsverfahren und der Berufsgerichtsbarkeit.
Der Chef der Generalstaatsanwaltschaft
Und weil eine Generalstaatsanwaltschaft hierarchisch und organisatorisch über "ihren" Staatsanwaltschaften steht, steht an ihrer Spitze kein Leitender Oberstaatsanwalt, sondern ein Generalstaatsanwalt (und dieses Amt ist natürlich einer höheren Besoldungsgruppe zugeordnet). Auch auf der Ebene darunter darf's jeweils ein bisschen mehr sein: Sind bei der Staatsanwaltschaft (beim Landgericht) "einfache" Staatsanwälte als Dezernenten tätig, so nehmen die Dezernatsaufgaben bei der Generalstaatsanwaltschaft Oberstaatsanwälte wahr. Und die Abteilungsleiter bei einer Generalstaatsanwaltschaft sind dementsprechend nicht wie bei der Staatsanwaltschaft "einfache" Oberstaatsanwälte, sondern - ha! - Leitende Oberstaatsanwälte.
Wie sich dem Online-Spiegel entnehmen lässt, ist genau das die Position, die der Kandidat einnehmen soll: Leiter der Abteilung "Auslieferung ausländischer Straftäter, Internationale Rechtshilfe" bei der Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Demnach wurde der frühere Leiter einer Abteilung bei der Staatsanwaltschaft Berlin zunächst als Dezernent zur Generalstaatsanwaltschaft versetzt (was üblicherweise nicht als Karrieresprung gewertet wird, bedeutet es doch bei gleichem Statusamt und identischer Besoldung den Wechsel von einer Führungsposition "zurück ins Glied"), und wird nunmehr dort Abteilungsleiter.
Was ist ein "Leitender Oberstaatsanwalt"?
Damit lässt sich dann nun auch die eingangs gestellte Frage beantworten: zwar ist der "Chef" einer Staatsanwaltschaft Leitender Oberstaatsanwalt, aber nicht jeder Leitende Oberstaatsanwalt ist auch "Chef" einer Staatsanwaltschaft. Er kann ebenso auch "nur" Abteilungsleiter bei einer Generalstaatsanwaltschaft sein.
Und weil es davon mehrere gibt - Abteilungen wie auch Abteilungsleiter -, ist der Spiegel Online-Artikel auch nach der Berichtigung immer noch falsch: es geht nämlich nicht um "Berlins Leitenden Oberstaatsanwalt". Damit könnte man - allenfalls - den Leiter der Berliner Staatsanwaltschaft treffend bezeichnen, nicht aber einen - von mehreren - Abteilungsleitern der Generalstaatsanwaltschaft. Man spricht ja auch nicht von "Berlins Oberstaatsanwalt", wenn es um einen der vielen Abteilungsleiterposten an der - riesigen - Berliner Staatsanwaltschaft (der beim Landgericht) geht.
Alle Klarheiten beseitigt? :-)
Titelbild: Bank Phrom / Unsplash